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Unschuldig verurteilt

Es gibt viele schreckliche Dinge, die einem zustoßen können. Jeden Tag werden Menschen Opfer von Verbrechen, Unfällen und Kriegen oder sie erhalten die überraschende Diagnose einer unheilbaren Krankheit. Manchmal spielt dabei auch eigene Dummheit eine Rolle. Manchmal trifft es einen ohne jede eigene Beteiligung. Besonders schlimm ist es beispielsweise auch, wenn man langjährig unschuldig im Gefängnis sitzt. Das aber kommt leider immer wieder vor. Nicht nur, dass das Gefängnis kein angenehmer Ort ist, voller Gewalt, Erniedrigung und Entwürdigung. Nicht nur, dass man dort einen großen Teil seines Lebens, seiner Freiheit und Möglichkeiten verliert. Oftmals ist man dann er einzige, der von der eigenen Unschuld weiß. Nach einem rechtskräftigen Urteil, gehen die meisten davon aus, dass man wirklich ein schweres Verbrechen begangen hat. Man wird von der Öffentlichkeit zu Unrecht verachtet, manchmal auch von der eigenen Familie und den eigenen Freunden.

Im November 2021 kam der Afroamerikaner Kevin Strickland nach 43 Jahren Gefängnis frei. 1979 war er einzig und allein aufgrund der Aussage einer Augenzeugin verurteilt worden, die ihre Aussage später widerrufen hatte. Die Zeugin meinte erst, ihn als einen von vier Tätern eines Dreifachmordes in der Stadt Kansas City / Missouri erkannt zu haben. Andere Beweise lagen damals nicht vor. Es half auch nicht, dass zwei andere wegen des Dreifachmordes verurteilte Männer aussagten, Strickland sei nicht beteiligt gewesen und dass er ein stichhaltiges Alibi vorweisen konnte. Strickland wird vermutlich nicht für seine Haft entschädigt, weil seine Unschuld, aufgrund fehlenden Materials, durch keinen DNA- Test bestätigt werden konnte.

Wegen des Mordes an einer Elfjährigen saßen die afroamerikanischen Halbbrüder Henry McCollum und Leon Brown über 30 Jahre unschuldig in Haft. Nach dem Mord im Jahr 1983 gerieten die damals 19 und 23 Jahre alten Halbbrüder in Verdacht. Polizisten wollten eine schnelle Aufklärung des Verbrechens und setzten die Verdächtigen dermaßen unter Druck, dass sie ein Geständnis unterschrieben. Daraufhin wurden sie zum Tod verurteilt. McCollum verbrachte fast 31 Jahre im Todestrakt, mehr als jeder andere Todeskandidat in North Carolina. Dann wurde seine Strafe in lebenslange Haft umgewandelt. Durch einen DNA- Abgleich konnte 2014 der wahre Täter überführt werden. Die beiden Verurteilten wurden daraufhin rehabilitiert und aus dem Gefängnis entlassen; nach 31 Jahren. Bürgerrechtsorganisationen verklagten daraufhin im Namen der Opfer die Stadt, die zuständige Polizeibehörde und das Gericht auf Schadensersatz. 2021 bekamen die beiden Brüder 75 Millionen US-Dollar Entschädigung zugesprochen.

Die weiße US-Amerikanerin Cathy Woods saß 35 Jahre zu Unrecht im Gefängnis des Bundesstaates Nevada. 1979 soll sie eine 19 Jahre alte Studentin aus Reno ermordet haben. Die damals unter einer schweren Psychose leidende Woods wurde von Ermittlungsbeamten zu einem Geständnis gedrängt, wie neuere Untersuchungen ergaben. Die erneut untersuchte DNA- Probe auf einem Zigarettenstummel vom Tatort führte die Polizei 2015 zu einem Mann, der bereits wegen zwei anderen Vergewaltigungen und Morden im Gefängnis saß. Nach einer Revision des Urteils wurde Frau Woods umgehend freigelassen. Für ihre 35jährige Haftzeit erhielt sie 2019 von staatlichen Stellen eine Entschädigung von 3 Millionen US- Dollar.

Der weiße US- Amerikaner Craig Coley wurde 1978 für den Mord an seiner 24 Jahre alten Ex-Freundin und deren vierjährigen Sohn verurteilt. Nach mehr als 39 Jahren kam Coley im November 2017 frei, nachdem eine neue DNA- Probe bewies, dass er nicht der Täter sein konnte. Als Entschädigung für seine Haft erhielt er 21 Millionen US-Dollar.

Diese Beispiele können natürlich nicht einfach auf das ganze Justizsystem übertragen werden. Bei den vielen tausend Gerichtsverfahren, die alleine in den USA jedes Jahr stattfinden, müssen glücklicherweise nur sehr wenige aufgrund neuer Beweise später revidiert werden. Aber auch, wenn es sich hier nur um Einzelfälle handelt, scheint eine gesunde Skepsis trotzdem angebracht zu sein. Für die Betroffenen sind solche Fehlurteile äußerst tragisch, manchmal sogar tödlich. Besonders schlimm sind Verurteilungen die auf verhältnismäßig leicht vermeidbare Fehler zurückgehen. Dazu gehören immer wieder unzulässiger Druck der Polizei oder rassistische bzw. religiöse Vorurteile, die einen Verdächtigen schnell zum Schuldigen werden lassen. Vor einem echten Irrtum kann letztendlich natürlich auch die gründlichste Arbeit nicht schützen.

Nicht immer beweist die Revision eines Urteils natürlich, dass der Betreffende unschuldig war. Manchmal geht es dann auch um einen Freispruch aus „Mangel an sicheren Beweisen“. Immer wieder aber müssen Verurteilte freigelassen werden, weil man später ziemlich eindeutig den wirklich Schuldigen überführen konnte.

Vor Gottes endgültigem Gericht wird es einmal keine falschen Urteile geben. Dort wird jeder erscheinen müssen, um Rechenschaft abzulegen über sein Leben. Alle guten und schlechten Taten und Worte kommen dann auf den Tisch. Natürlich freut sich Gott über Menschen, die viel Gutes in ihrem Leben getan haben, die sich für andere engagiert, nach Gottes Ordnungen gerichtet und auf Unrecht verzichtet haben. Verurteilt werden Menschen dann allerdings nicht aufgrund ihres guten Lebens, sondern wegen ihres falschen Verhaltens; wie das auch vor irdischen Gerichte zumeist der Fall ist. In diesem Zusammenhang aber bemerkt Gott deutlich, dass es keinen einzigen Menschen gibt, dem nichts vorzuwerfen wäre (1Kön 8, 46; Röm 3, 23). Keiner kommt deshalb ganz ohne Urteil aus dem göttlichen Gericht heraus. Wer seine Schuld aber rechtzeitig einsieht und Gott ernsthaft um Vergebung bittet, der wird trotz seiner Schuld schlussendlich begnadigt (Röm 5, 10-12; 1.Joh 1, 9).

Es ist wirklich schlimm, wie selbst in modernen, demokratischen Staaten Menschen langjährig ins Gefängnis kommen, weil sie für etwas verurteilt werden, was sie nie getan haben. Alle an einem Prozess beteiligten sind deshalb zu größtmöglicher Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit aufgefordert, um dermaßen ungerechte Urteile möglichst zu verhindern. Manchmal können Vorurteile und Vermutungen das Urteilsvermögen leider so stark einschränken, sodass man nur noch das sieht, was man gerne sehen will. Dass, was vor Gericht gilt, sollte natürlich auch im Alltag berücksichtigt werden, selbst wenn es da nicht um Urteile mit Gefängnisstrafe geht. Sehr oft beschuldigen und unterstellen sich Menschen Dinge, die bei Licht besehen gar nicht zutreffen. Deshalb zerbrechen Beziehungen, Menschen werden innerlich schwer verletzt, in ihrer Ansicht lächerlich gemacht oder benachteiligt. Wer öffentliche Fehl- Urteile zurecht anprangert, der sollte sich natürlich auch in seinen ganz privaten Urteilen radikal vor einem ähnlichen Vorgehen hüten.

(von Michael Kotsch)

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