Kategorien
Podcast

Zungenreden / Sprachenreden

Wer einen Menschen plötzlich unverständlich reden hört, geht gewöhnlich davon aus, dass sein Gegenüber eine Fremdsprache benutzt oder betrunken ist. Auch kleine Babys, Menschen in Trance und Personen mit sprachlichen Behinderungen geben zuweilen Laute von sich, die man eher deuten als verstehen muss.

In manchen christlichen Kreisen kann man auf Personen treffen, die mit großer Begeisterung Laute ausstoßen, die weder sie noch irgendjemand anders versteht. Das ist dann zumeist ein besonderes Kennzeichen pfingstlerischer und charismatischer Christen. Ihnen wurde vermittelt, dass diese unverständlichen Laute Zeichen der besonderen Gnade Gottes ein sollen. Deshalb bemühen sich charismatische Christen um dieses Phänomen, sofern sie es denn noch nicht beherrschen. Manche hoffen, dass der Heilige Geist, der für diese Laute verantwortlich gemacht wird, ganz spontan über sie kommt. Andere beten lange, um endlich auch unverständlich reden zu können. Wieder andere hoffen, durch Handauflegung besonders geisterfüllter Prediger oder durch entsprechende Übungen ekstatisch reden zu können. Zumeist wird dieses unverständliche Reden in gottesdienstlichen Veranstaltungen ausgeübt, vor allem in Verbindung mit emotional stark aufgeladenen Liedern. Einer beginnt dann unverständliche Laute auszustoßen und schon bald fällt die ganze Gemeinde ein. Manche haben auch eine eigene Technik entwickelt, um ganz privat für einige Zeit unverständlich reden zu können. Das wird dann oft als Zeichen der besonderen Gottesnähe interpretiert.

In ihrem Verständnis dieses unverständlichen Redens beziehen sich charismatische Christen vor allem auf die Aussagen der Apostelgeschichte und des 1.Korintherbriefs. Beim ersten Pfingstfest in Jerusalem, kurz nach dem Tod und der Auferstehung Jesu, kam der Heilige Geist über die ersten Christen und sie konnten plötzlich in Sprachen predigen, die sie nie gelernt hatten (Apg 2, 4-11). Da zu diesem Zeitpunkt viele Gäste aus allen Teilen des Römischen Reiches in Jerusalem waren, konnten die meisten Fremden nun verstehen, was die Apostel von Jesus erzählten. Viele der Zuhörer fühlten sich zutiefst von Gott angesprochen und wurden daraufhin Christen. Auch nachdem die ersten Nichtjuden in Caesarea gläubig geworden waren konnten sie plötzlich, durch einen übernatürlichen Eingriff Gottes, in einer nie gelernten Sprache sprechen (Apg 10, 44-46).

Dieses Phänomen wurde mit dem griechischen Begriff γλῶσσα (glossa) beschrieben, den die meisten deutschen Bibeln mit „Zungenrede“ oder „Sprachenrede“ übersetzen. Das Wort bezeichnet einerseits das Organ der Zunge und zum anderen die Sprache, bzw. die Fremdsprache. In seltenen Fällen wird das Wort auch benutzt, um ein Lallen oder vollkommen sinnloses Reden eines Betrunkenen zu benennen.  Gelegentlich tauchte das Zungenreden auch in der weiteren Geschichte der frühen Christen auf; allerdings ohne besondere Bedeutung. Nur in der Gemeinde von Korinth hatte das Zungenreden einen außerordentlich großen Stellenwert bekommen. Beeinflusst von esoterischen Vorstellungen und der allgemeinen Faszination vom Unerklärlichen, legten die Christen dieser Gemeinde besonders großen Wert auf das Zungenreden, auf die Prophetie und andere Wundertaten.

Der Apostel Paulus musste sie deshalb in seinem 1.Korintherbrief deutlich korrigieren. Darin betont er zuerst, dass echtes Zungenreden und echte Prophetie natürlich erstrebenswerte Gaben Gottes sind (1Kor 12, 10; 14, 39). Dann spricht er aber auch Missstände an, die bei den korinthischen Christen Einzug gehalten hatten. Dort wollte sich gerne jeder mit seinen spektakulären Begabungen in den Mittelpunkt spielen. Im Gottesdienst sprachen viele durcheinander und gleichzeitig in unverständlichen Lauten. Niemand konnte etwas Genaueres verstehen oder gar die Worte deuten (1Kor 14, 19ff.). Außerstehende Gottesdienstbesucher hielten die Christen für verrückt, weil sie begeistert unverständliche Worte ausstießen, wie Leute unter Drogen oder Alkohol (Apg 14, 6-11+23). Paulus wies die Gemeinde deshalb zurecht und ordnete an, dass höchstens zwei oder drei Gläubige in Zungen reden sollten, nacheinander und mit entsprechenden Übersetzungen (1Kor 14, 27+28). Dann konnte auch der Rest der Gemeinde ihre Aussagen verstehen und die andersgläubigen Gäste konnten erkennen, dass sich hier keine Wahnsinnigen versammelten, sondern Gott ihnen die Fähigkeit gegeben hatte in einer nicht gelernten Fremdsprache zu reden. Das konnte den Zuhörenden natürlich nur durch eine entsprechende Übersetzung deutlich werden. Gab es aber niemanden in der Gemeinde, der die einsprechende Sprache verstand oder den Gott durch ein Wunder die Sprache verstehen ließ, dann sollte man lieber schweigen, statt die Zuhörer zu irritieren, forderte der Apostel (1Kor 14, 27+28). Wer dann zuhause, ohne weitere Zuhörer in Zungen reden wollte, sollte das tun, zum Lob Gottes, der schließlich alle Sprachen versteht und keine spezielle Übersetzung nötig hat (1Kor 14, 4+28).

Außerdem musste Paulus die Christen von Korinth aufgrund ihrer Überbewertung vorgeblich spektakulärer Fähigkeiten wie Zungenreden, Prophezeien oder Heilen deutlich zurechtweisen (1Kor 14, 19). Er machte ihnen klar, dass alle von Gott geschenkten Befähigungen prinzipiell gleichwertig und für die Gemeinde notwendig wären. Gerade das was besonders erstrebt oder von anderen beachtet wäre, könnte ziemlich leicht überbewertet werden (1Kor 12, 12-27). Fähigkeiten aber, auf die niemand so genau achtet, wären für die Gemeinde häufig von viel größerer Bedeutung, als die scheinbar spektakulären. Paulus erinnerte die korinthischen Christen deutlich daran, dass Gottes Befähigungen nicht wie im Angebot eines Händlers beliebig ausgewählt werden könnten, sondern dass alleine Gott entscheidet, wem er welche Begabung gibt (1Kor 12, 11; 29-31). Man solle auch nicht eine Begabung generell höher achten als die andere oder sich gar von Christen trennen, die nicht mit so spektakulären Fähigkeiten auftreten könnten wie man selbst.

Wenn die Gläubigen sich aber schon besonders nach einigen Begabungen Gottes sehnten, dann sollten sie wenigstens auch die Wichtigsten und nicht die Auffälligsten vor Augen haben. Das waren für Paulus ganz eindeutig Glaube, Hoffnung und vor allem die Liebe (1Kor 12, 31; 13, 1-3+13). Wer diese Gaben nicht besitze und sich nicht intensive um sie bemühe, der habe die Prioritäten Gottes vollkommen missverstanden. Wer Zungenreden könnte wie kein anderer Menschen, oder Wundertaten vollbringe, sodass alle Zuschauer nur staunen können, aber nur wenig von der göttlichen Liebe, dem Glauben und der Hoffnung erfüllt sei, der gehe am Wesentlichen vorbei, war Paulus überzeugt (1Kor 13,1-3). Gottes Rangordnung sei eben ganz anders als das, was Menschen als besonders erstrebenswert und spektakulär ansehen würden. Von Glauben, Hoffnung und Liebe erfüllt zu sein ist vor Gott deutlich wichtiger als Wunder vollbringen oder in ungelernten Fremdsprachen reden zu können (1Kor 13, 13; Gal 5, 22f.).

Es besteht sogar die Gefahr, dass man vor lauter Sehnsucht nach diesen Fähigkeiten auf billige Kopien hereinfällt oder sie mit menschlichen Mitteln nachzumachen versuche, wie auch in vielen anderen Religionen der Welt. In seinem Brief an die Galater macht Paulus Gottes Prioritätenliste noch einmal ganz deutlich, indem er die scheinbar so besonderen und spektakulären Begabungen gar nicht erst aufzählt. Da heißt es stattdessen: „Die Frucht, die der Heilige Geist im Christen wachsen lässt, ist: Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“ (Gal 5, 22f.)

Zungenreden, wenn es echt von Gott kommt, ist das spontane Reden in einer nie gelernten Sprache. Das wird in der Gemeinde beglaubigt, indem Gott gleichzeitig einen anderen Menschen befähigt, diese Worte richtig zu übersetzen. Ein solches Wunder kann Christen und Nichtchristen tief beeindrucken. Unverständliches Durcheinanderreden aber soll vermieden werden, ebenso wie unechtes, nur selbst stimuliertes Zungenreden. Vor allem aber darf nie vergessen werden, dass aus Gottes Sicht für den Christen ganz andere Fähigkeiten wichtig sind, vor allem: Glaube, Hoffnung und Liebe.

(von Michael Kotsch)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert