Kategorien
Podcast

Grillen für den Glauben. Zürcher Wurstessen

Viele Deutschen lieben das Grillen und das Picknicken. Sobald die Saison beginnt, wird der Grill fertig gemacht und das Feuer angezündet. Zumeist brät man sein Fleisch oder seine vegetarischen Beilagen, einfach weil es gut schmeckt und weil es Spaß macht, so mit Freunden zusammen zu sein. Wohl kaum jemand grillt hierzulande, weil er keinen Herd in der Küche hat. Man kann natürlich auch grillen bzw. picknicken, um Hungernde zu verköstigen oder um zu demonstrieren.

Das gab es tatsächlich zumindest einmal in der Weltgeschichte, ein quasi revolutionäres Wurstessen. Und das kam so: Die katholische Kirche des Mittelalters regelte nicht nur Glaubensfragen. Fast jeder Bereich des Alltags wurde von ihr begutachtet und mit entsprechenden Verordnungen versehen. Auch heute gibt es natürlich Regeln, nach denen sich Menschen ernähren. Auf seriöse Produktion und Gesundheitsgefahren achtet zumeist der Staat. Darüber hinaus gibt es verschiedenste Vorstellungen von gesunder oder gerechter Ernährung. Manche setzen auf vegan, andere auf Proteine.

Im ausgehenden Mittelalter spielten neben politischen vor allem religiöse Aspekte beim Essen eine große Rolle. Mönche verzichteten auf luxuriöse Ernährung, weil sie bescheiden leben und sich auf geistliche Dinge konzentrieren sollten. Am Freitag sollten Katholiken auf Fleisch verzichten, weil Jesus an diesem Wochentag hingerichtet worden war. Mehrfach im Jahr waren Festzeiten vorgesehen, auch das, primär nicht aus Gesundheitsgründen, sondern aufgrund des Glaubens. Gerade vor den großen christlichen Festen Weihnachten und Ostern sollte man sich ganz besonders an die Geburt Jesu und an seinen Tod bzw. seine Auferstehung erinnern. In den Wochen vor dem Fest verzichte man nicht ganz aufs Essen, begnügte sich aber mit einfachen Speisen. Fleisch, Eier und Milchprodukte waren verboten. Wenn dann der Feiertag da war, dann durfte man wieder alles essen und die Freude über den nun erweiterten Speiseplan sollte sich auf die Freude wegen der Auferstehung Jesu übertragen.

Im frühen 16.Jahrhundert nun begannen viele Menschen die Regeln der Kirche infrage zu stellen. Dabei wollten sie nicht den Glauben an sich oder die Bibel zu kritisieren. Man stellte sich eben nur die Frage, warum die katholischen Würdenträger der Bevölkerung im Namen des Glaubens Dinge vorschrieben, die weder Jesus noch seine Apostel gefordert hatten. Dazu gehörten auch die häufig als lästig empfundenen Speiseverbote. Huldrych Zwingli (1484-1531) predigte in Zürich die Anliegen der Reformation, die unter anderem eine konsequente Rückorientierung der Christen auf die Aussagen der Bibel forderte. Viele katholische Traditionen wurden daraufhin hinterfragt und abgeschafft. Zwingli ging es zu Beginn vor allem darum, in der breiten Bevölkerung ein größeres Problembewusstsein für die unbiblischen Forderungen der mittelalterlichen Kirche zu fördern. Zu diesem Zweck arbeitete er mit einigen jungen, selbstbewussten Bürgersöhne zusammen, die er dazu überredete gelegentlich die vollbesetzten Gottesdienste zu stören. Immer wenn der Prediger etwas sagte, dass nicht auch von Jesus oder den Aposteln vertreten worden war, sollten sie lautstark Protest erheben und den Prediger zu einer Rechtfertigung drängen. Damit sollte allen Menschen deutlich vor Augen geführt werden, dass viele katholische Traditionen nicht mit der Lehre Jesu übereinstimmten, auf die sich Kirchenvertreter aber zumeist beriefen.

Eine noch heftigere öffentliche Provokation hatte Zwingli mit seinen Unterstützern für Sonntag den 9. März 1522 geplant, mitten in der Fastenzeit vor Ostern. Der Konsum von Fleisch, Eiern und Milchprodukten war zu diesem Zeitpunkt streng untersagt. Manche beachteten diese Vorschriften vielleicht nicht und aßen still und heimlich zuhause, was ihnen passte. Normalerweise interessierte das dann auch nur wenig und man musste keine Konsequenzen fürchten. Zwinglis Freunde aber trafen sich gut sichtbar in der Druckerwerkstatt im „Haus zum Weingarten“ an der Grabengasse, nur einen Steinwurf von der Stadtmauer von Zürich entfernt. Im Haus des stadtbekannten Druckers Christoph Froschauer saßen unter anderen der Priester Leo Jud, der Schneider Hans Oggenfuss, der Weber Laurenz Hochrütiner und der Schuhmacher Niklaus Hottinger. Kurze Zeit vorher hatten die jungen Männer die Öffentlichkeit schon einmal heftig provoziert, indem sie ein Kruzifix zerhackten, weil sie das als Abgötterei betrachteten.

Schon wenige Tage vor dem revolutionären Picknick hatten Zwinglis Freunde im Zunfthaus der Bäcker vor Zeugen einen mitgebrachten Braten verspeist. An diesem Sonntag veranstalteten sie ein quasi öffentliches Wurstessen. Bei weit offenen Fenstern verzehrten sie zwischen Drucktypen und Holzrahmen einige geräucherte Würste. Wie durchaus beabsichtigt machte dieser Frevel schon bald die Runde. Die jungen Männer wurden daraufhin offiziell beim Rat der Stadt verklagt, der darüber entscheiden sollte, wie man mit den Fastenbrechern zu verfahren habe. Zwingli, der wohlweißlich nicht an dem besagten Wurstessen teilgenommen hatten, um dann als neutraler Gutachter fungieren zu können, verfasste eine vielgelesene Abhandlung „Über Auswahl und Freiheit der Speisen“. Darin argumentierte er, dass die Speiseverbote der katholischen Kirche nicht in der Bibel zu finden seien. Deshalb könne man sie auch nicht im Nahmen des Glaubens einfordern oder jemanden als Sünder bezeichnen, der sich nicht daran hielt. Zwingli predigte dann auch noch über dieses damals heikle Thema. In Zürich kam es daraufhin zu heftigen Diskussionen über die Rechtmäßigkeit von Fastengeboten. In manchen Kneipen gingen die Männer deshalb sogar mit Fäusten aufeinander los.

In einer deshalb anberaumten Verhandlung vor der Zürcher Stadtregierung wurden die Vertreter des zuständigen Bischofs von Konstanz gehört und auch Zwingli. Nach einigem Hin und Her entschieden sich die Ratsherren gegen die kirchlichen Traditionen, die nicht wirklich aus der Bibel begründet werden konnten. Schon bald darauf wurden in Zürich alle religiösen Fastengebote aufgehoben. Für die Reformation der Schweiz war das ein äußerst wichtiger Durchbruch. In den folgenden Jahren wurden nach und nach die Theologie und das christliche Alltagsleben neu durchdacht und reformatorisch geordnet. Christoph Froschauer übrigens, in dessen Haus das revolutionäre Wurstessen stattgefunden hatte, druckte zwischen 1524 und 1529 die erste reformatorische Vollbibel, übersetzt vor allem von Huldrych Zwingli und Leo Jud. Bis heute ist sie als Zürcher- Bibelübersetzung weithin bekannt. Luthers deutsche Übersetzung des  Neuen Testaments war zwar bereits 1522 erschienen. Die gesamte von ihm übersetzte Bibel erschien dann aber erst 1534.

(von Michael Kotsch)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert