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„Aufstand der Letzten Generation“

Mancher Autofahrer hat in den vergangenen Wochen handfest den „Aufstand der Letzen Generation“ kennengelernt. Mit verschiedenen Aktionen legt die Gruppe stundenlang den Verkehr lahm, beispielsweise indem sie eine Hand mit Sekundenkleber an der Fahrbahndecke befestigt. Bis die Polizei vor Ort ist und den Kleber löst steht der Verkehr erst einmal still und aufgebrachte Autofahrer ärgern sich über diese wiederholten Provokationen. Der „Aufstand der Letzen Generation“ will mit seinen Aktionen die Bundesregierung dazu zwingen, unabhängig von allen demokratischen Mehrheiten, ihre Klima- Politik sofort und radikal umzusetzen. Einige Forderungen der vorgeblich „letzten Generation“ sind durchaus vernünftig und nachvollziehbar. So beklagten sie in öffentlichen Aktionen die Verschwendung von Lebensmitteln, die bei vielen Geschäften nach dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums weggeschmissen, statt verschenkt oder wieder verwertet werden. Aktivisten plünderten, bei gleichzeitiger intensiver Berichterstattung großer Medien, die Mülltonnen von Supermärkten und verteilten die noch immer genießbaren Lebensmittel an Bedürftige. Weil es sich dabei formal gesehen um Diebstahl handelt, zeigten sie sich selbst an und erreichten damit noch mehr mediale Aufmerksamkeit. Ultimativ forderten sie von der Bundesregierung ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung und eine Pflicht für entsprechende Geschäfte, die noch  genießbaren Lebensmittel zu spenden.

Andere Aktivisten der „letzten Generation“ sprangen in Hafenbecken, um den Schiffsverkehr zu blockieren, beschädigten Kunstwerke in Museen  oder versperrten die Zufahrtswege zu Flughäfen und zu wichtigen Autobahnabschnitten. Damit wollen sie, nach eigenen Aussagen, eine „Störung des todbringenden Alltags“ erreichen. Kritiker machten geltend, dass bei bewusst herbeigeführten Staus tausende Liter Treibstoff zusätzlich verbraucht werden, was nicht gerade zu den Klimaforderungen der „Letzen Generation“ passt. Außerdem wurden dabei auch schon Krankenwagen blockiert und damit das Leben von Menschen gefährdet. Erzieherinnen, Lehrer oder Krankenschwester werden von ihrer verantwortungsvollen Arbeit abgehalten, wodurch gesundheitliche, pädagogische und medizinische Probleme gefördert werden, die nichts mit Klimaschädigung zu tun haben.

Grüne Politiker kämpfen derzeit mit einer Bewegung, die denen ähnlich ist, die sie ehemals selbst ins Leben gerufen haben, um mehr politische Macht zu erringen. Wie schon unzählige politische Newcomer vor ihnen haben auch die Grünen jahrelang Mistrauen gegen die offizielle Politik geschürt, um sich dann als die Retter präsentieren zu können. Gerne hat man dabei auch etwas dramatisiert und die eigenen politischen Ziele als Überlebensfrage der Menschheit deklariert. Wie bei allen Ideologien der vergangenen Jahrhunderte kommen solche Botschaften bei jungen Menschen immer am besten an. Dieser Gruppe kann man ziemlich schnell vormachen, dass vor ihnen alle dumm und korrupt waren. Sie allein haben den wirklichen Durchblick und können die Welt noch vor der prophezeiten Katastrophe retten. So hieß es auch schon bei den russischen und chinesischen Kommunisten, bei den Nationalsozialisten, den Vorkämpfern der Studentenrevolte und den Islamistengruppen verschiedener Länder.

Was soll man anderes erwarten, wenn jungen begeisterungsfähigen Leuten jahrelang vermittelt wird, dass die Welt vor dem unmittelbaren Abgrund steht. Dann greifen diese Leute auch zu drastischen Mitteln um dieses Szenario vielleicht doch noch verhindern zu können.

Sich als „letzte Generation“ zu bezeichnen ist nicht neu. Meistens allerdings wurde diese Formulierung in der Vergangenheit von religiösen Gruppen benutzt, die das von Gott angekündigte Ende der Welt für die nahe Zukunft prognostizierten. Luther sah in den nach Europa vorrückenden Türken und dem theologischen Missbrauch der katholischen Kirche ein sicheres Zeichen des unmittelbar bevorstehenden Weltendes. Auch extreme Wetterphänomene bestärkten ihn in seiner Überzeugung. Schwärmerische Pietisten waren sich absolut sicher, dass sie im 18.Jahrhundert die letzte Generation der Welt wären. Dabei beriefen sie sich auf  zahlreiche Kriege, auf eine verbreitete Unmoral, auf astronomische Phänomene und auf ganz subjektive Eindrücke.

Die Adventisten waren sich sicher, dass das Ende der Welt in der Mitte des 19. Jahrhunderts stattfinden sollte. Für die Zeugen Jehovas war das entscheidende Datum 1914. Anhänger des Mayakalenders tippten auf 2012. Nun ist es wieder einmal soweit. Diesmal allerdings unter dem Zeichen einer säkularen Ökoreligion, die der Gesellschaft neue Werte und auch neue Ängste aufdrängen will, beispielsweise vor einem neuerlichen Weltuntergang. In den 1960er Jahren warnten Ökoaktivisten vor dem nahen Ende der Menschheit aufgrund des Sterbens der Insekten. Dann wurde das Ende der Welt durch die Umweltverschmutzung prognostiziert, durch atomare Verseuchung und durch das Ozonloch. Die Aktivsten der „Letzten Generation“ sind gläubige Menschen, gläubig an die Dogmen ihrer Religion, die sie über alle anderen Werte stellen.

Wie schon manche engagierte Aktivisten vor ihnen, so halten auch die Leute der „Letzen Generation“ wenig von Demokratie und Meinungsfreiheit. Weil sie so fest von ihrer Wahrheit überzeugt sind, wollen sie auf keine Mehrheiten warten. Sie wollen Politik und Gesellschaft zu einer Veränderung in ihrem Sinn zwingen. Deshalb scheuen sie auch nicht davor zurück, der Regierung ein Ultimatum zu stellen, mit entsprechenden Drohungen, sollten ihre Forderungen nach einer radikalen ökologischen Wende nicht sofort umgesetzt werden. Gute Argumente Andersdenkender betrachten sie lediglich als unnötige Verzögerung. Selbst politische Mehrheiten sind ihnen weitgehend gleichgültig. Notfalls müsse man die Bürger halt zu ihrem Glück zwingen. So etwas kannte man bisher lediglich von religiösen oder politischen Fanatikern, denen ihre Wahrheit über alles geht, auch über die Freiheit und das Leben anderer Menschen. Zwischenzeitlich haben auch einige Öko- Aktivisten dieses Stadium der Ideologisierung erreicht.

Natürlich ist Umweltpolitik wichtig. Das bezweifelt heute wahrscheinlich kaum ein Europäer. Andererseits gibt es für die Gesellschaft natürlich auch erhebliche andere Herausforderungen, ohne die jede weitergehende Ökoreform zukünftig zum Scheitern verurteilt ist. Wird beispielsweise die Wirtschaft deutlich geschädigt, fehlt das nötige Geld für große Sprünge in der Umweltpolitik und für die Erforschung sinnvoller Alternativen. Außerdem werden radikale Reformen zu erhöhter Arbeitslosigkeit und damit zu weiteren sozialen Spannungen führen. Auch ohne eine ordentliche Bildungspolitik, Außenpolitik und Verkehrspolitik kann man keine nachhaltigen ökologischen Reformen durchsetzen. Ideologen aber, auch ökologische, haben meist den Blick für das große Ganze verloren. Ihr Ziel und ihre Perspektive halten sie für die einzig relevante. Mit dieser Motivation könnte es zukünftig sogar zu ökologisch begründeten Gewalttaten kommen.

Christen sollten die ökologischen Herausforderungen der Zeit erkennen und sich nicht vorschnell gegen notwendige Veränderungen sperren. Christen sollten gleichzeitig aber nie Gott als den übergeordneten und letztlichen Chef der Schöpfung aus dem Blick verlieren. Menschen, die hoffen allein mit ihrer Weisheit und mit einer Vergötterung der Natur die Umwelt retten zu können, werden sicher scheitern. Nur wer die Relationen fest im Blick behält, mit dem Menschen als verantwortlichen Verwalter der Schöpfung, mit Gott als dem sicheren Garanten natürlicher Ökosysteme und mit dem Wissen um die Begrenztheit aller menschlicher Maßnahmen, der wird wirklich hilfreich zum Schutz der Natur tätig werden. Christen sollten auch sensibel bleiben angesichts einer immer stärkeren religiösen Aufladung ökologischer Fragen. Manche machen die Ökologie zur Religion eines neuen Zeitalters, dem alles andere, auch der christliche Glaube, rücksichtslos untergeordnet werden müsse. Auf dieser Grundlage wird eine neue ökologische Ethik aufgerichtet, der sich alle Menschen unterordnen sollen, wenn nötig auch mit gesellschaftlicher Gewalt. Christen müssen dafür eintreten, Gott auch bei ökologischen Fragen nicht aus dem Blick zu verlieren, ebenso wenig wie die Ganzheitlichkeit des menschlichen Lebens, einschließlich Glaube, soziale Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Schuldvergebung usw. Eine „letzte Generation“ wird es geben, wenn Gott das will und nicht wenn ökologische Aktivisten mit apokalyptischen Drohungen ohne jede Rücksichtnahme und ohne Gott ihre Weltsicht durchsetzen wollen.

Einige Einzelforderungen der „Letzten Generation“ sind dabei durchaus sinnvoll, auch aus christlicher Perspektive. Die leichtfertige Verschwendung und Vernichtung hunderter Tonnen Lebensmittel jährlich beispielsweise sollte auch von Christen als Skandal angesehen werden, gegen den man deutlich protestiert. Auch abgelaufene Lebensmittel können Hungernden oder Armen sinnvoll weiterhelfen. Bei ökologischen und sozialen Protesten, wie denen von der „Letzen Generation“, gilt es also genau hinzuschauen, was unterstützenswert ist und was doch eher ideologisch und schädlich.

(von Michael Kotsch)

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