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Die Heilsarmee

Eigentlich sind sie ziemlich originell und irgendwie aus der Zeit gefallen, die Christen von der Heilsarmee. Besonders in Deutschland, wo man Uniformen gewöhnlich mit besonderer Skepsis begegnet, wirkt das militärische Auftreten der Heilsarmee irgendwie anachronistisch. Dabei ist die Organisation hierzulande durchaus bekannt, insbesondere in den Städten. Vor allem kennt man die Heilsarmee durch ihre sozialen Einrichtungen und durch ihre öffentlichen Auftritte, die zumeist mit Posaunen und Schlagzeug begleitet sind. Trotz ihres militärischen Auftretens ist die Heilsarmee eine durch und durch friedliche Einrichtung. Allerdings müssen sich andere Christen manchmal erst an die besondere Sprache und die fremden Bräuche dieser „Armee Gottes“ gewöhnen.

Zwischenzeitlich gehört die Heilsarmee nicht nur in Deutschland längst zu den etablierten sozialen Einrichtungen mit klar christlicher Prägung. In ihrer Anfangszeit waren sie geistliche Revolutionäre, die Aufsehen erregten und denen mit offener Ablehnung begegnet wurde. Vielen Christen war die Heilsarmee entschieden zu unkonventionell, viel zu modern und außerdem ein unangenehmer Ruf an ihr eigenes Gewissen. Den Menschen von der Straße und aus zwielichtigem Hintergrund,  denen sie helfen wollten, entsprach das forsche Auftreten der Heilsarmee aber durchaus.

Bis heute arbeitet die Heilsarmee ziemlich erfolgreich. Vor allem widmet sie sich noch immer Menschen am Rande der Gesellschaft: Obdachlosen, Prostituierten, Alkoholikern, Kriminellen usw. Hier hilft es oft, klar erkennbar und mit einer festen Struktur aufzutreten. In einer zwielichtigen Umgebung kann die Uniform der Heilssoldaten durchaus auch ein Schutz sein.

Die Heilsarmee ist eine beständige Erinnerung an die Menschen außerhalb etablierter Gemeinden und an die unkonventionelle Liebe Gottes. Mitarbeiter müssen ziemlich viel Geduld aufbringen, weil nicht alle, denen sie helfen wollen dankbar oder auch nur offen dafür sind. Heilsarmisten müssen auch einstecken können ohne gleich zusammenzubrechen oder ihren Mut sinken zu lassen. In ihren ersten Jahren wurden sie nicht nur verspottet und beschimpft, oft gingen ihre Gegner auch zu körperlichen Angriffen über. Man bewarf die Mitarbeiter der Heilsarmee mit Dreck oder faulen Eiern, beschimpfte sie übelst, schlug auf sie ein und zerriss ihre Kleidung. In solchen Situationen braucht es eine ganz besondere Liebe zu den Menschen, denen man helfen will. Wer hier nur mit eigener Kraft arbeitet, steht schnell in der Gefahr aufzugeben oder auszubrennen.

Oft findet das typische Publikum der Heilsarmee kaum einen Zugang zu ganz normalen Gemeinden. Man versteht sich nicht und redet gewöhnlich aneinander vorbei. Das erlebte schon William Booth, der Gründer der Heilsarmee, als er im 19.Jahrhundert stinkende Obdachlose in seine gut etablierte Methodistengemeinde einladen wollte. Beide Gruppen passten einfach nicht zusammen. So gründete er eine auf die speziellen Bedürfnisse seines Zielpublikums ausgerichtete Organisation. Feste Regeln und Formen halfen belasteten Menschen, ihr Leben neu zu ordnen und zu strukturieren. Eine klare Führung ließ nur wenig Platz für Diskussionen und machte die Heilsarmee flexibel und schlagkräftig.

Für manche klingt der Name „Heilsarmee“ heute reichlich militaristisch. Das irritiert und erinnert an radikalislamistische Organisationen, die ihre Religion mit Gewalt und Terror verbreiten wollen. Da ist die Heilsarmee aber vollkommen anders ausgerichtet. Hier kämpft man nicht mit Waffen und Sprengstoff, sondern mit Liebe und Heiligem Geist. Darauf machen die Heilssoldaten mit lauten, zeitgemäßen Liedern aufmerksam, die mitten im Lärm der Vergnügungsviertel natürlich nicht von einer Orgel begleitet werden, sondern von Posaunen und Schlagzeug. Uniformen betrachteten die meisten Briten des 19.Jarhhunderts als etwas Positives, weshalb sie auch von die Mitglieder der Heilsarmee benutzt wurden. Uniformen signalisierten Ordnung, Einsatzbereitschaft und Zugehörigkeit zu einer größeren Organisation. Außerdem konnte sie in einer rauen Umgebung gelegentlich auch vor Missverständnissen und Übergriffen schützen.

Konsequent, mit aller Kraft will die Heilsarmee für das „Heil“ der Menschen kämpfen, daher der etwas gewöhnungsbedürftige Name. Manche sind durch ihre momentane Lebenslage, ihre Krankheit, ihren Hunger oder ihre Süchte zerbrochen. Alle Menschen sind von klein auf geistlich gesehen kaputt. Sie befinden sich in einer belastenden Trennung von Gott. Oftmals ist das zerstörte Leben lediglich die Konsequenz vieler gegen Gott getroffener Entscheidungen. Die Scherben eines zerbrochenen Lebens und die Folgen eigenen Versagens können durch Gott aber wieder geheilt werden. Dazu kann es natürlich helfen, Nahrung. Medizin, Ausbildung und Arbeit zu bekommen. Im Zentrum aber steht die Erneuerung der Seele. Jeder Menschen, der Jesus um Vergebung der eigenen Schuld bittet, der kann eine grundlegende Erneuerung der Seele erfahren und durch den Heiligen Geist ein verändertes Leben führen. In diesem Sinne will die Heilsarmee das „Heil“ der Menschen gleich auf mehreren Ebenen fördern.

 „Seif, Suppe, Seelenheil“, lautete das einfache und einprägsame Motto der Heilsarmee. Das ist zwar keine hohe Theologie, trifft das urchristliche Anliegen dieser „Armee der Liebe“ aber durchaus gut. Viele Menschen von der Straße oder in Katastrophengebieten brauchen dringend hygienische und medizinische Unterstützung. Außerdem sind sie oft hungrig oder haben kein Dach über dem Kopf. Vor allem aber brauchen sie menschliche Zuwendung und eine grundlegende, geistliche Erneuerung ihres Lebens, also „Seelenheil“. Im besten Sinne des Wortes will die Heilsarmee ganzheitlich helfen, sich nicht alleine auf materielle und medizinische Versorgung beschränken. Viele Menschen vom Rand der Gesellschaft müssen mit ihren inneren Verletzungen, mit traumatischen Erfahrungen aber auch mit ihrer eigenen Schuld fertigwerden. Dabei will ihnen die Heilsarmee helfen, bzw. den Zugang zu Gott vermitteln, der innere Verletzungen heilen, Schuld vergeben, zerstörerische Gewohnheiten verändern und Leben erneuern kann. Dazu braucht es natürlich immer auch den eigenen Willen zur Umkehr und die Einsicht in eigene Schuld. Der Glaube darf eben nicht einfach aus dem Hilfsprogramm gestrichen werden, wie das einige säkulare Einrichtungen immer wieder fordern.

Im 19. Jahrhundert wurde von der Heilsarmee auf Plakaten in die „Rettungs- Fabrik“ eigeladen, wo „Halleluja- Mädchen“ zum Publikum sprechen würden. Das war sensationell und sicherte eine große Aufmerksamkeit. Zu solchen Veranstaltungen kamen auch Leute, die sonst mit Kirche nichts anzufangen wussten. Hier gab es keine traditionellen Predigten, sondern Lebensberichte von Menschen die durch ihre Begegnung mit Jesus Christus grundlegend verändert worden waren. Andere Ansprachen nahmen kein Blatt vor den Mund, nannten Sünde offen beim Namen, malten die zu erwartende Strafe Gottes plastisch vor Augen und stellten umfassende Hilfe in Aussicht, die über fromme theologische Begriffe weit hinausging.

Lebenslang war William Booth bekannt für seine Kreativität und seine große Offenheit, für neue Wege, um Menschen praktisch und geistlich weiterzuhelfen. Ihm kam es nicht so sehr auf die Erhaltung äußerer kirchlicher Formen an, sondern weit mehr auf den eigentlichen Inhalt christlichen Glaubens. Natürlich ärgerten sich Bordel- Besitzer und Kneipenwirte über die Aktivitäten der Heilsarmee, weil sie ihr Geschäftsmodell bedroht sahen. Das ist durchaus nachvollziehbar. Leider positionierten sich aber auch viele traditionelle Christen gegen die damals neue Organisation. Durch christliche Lieder mitten in unmoralischen Vergnügungsvierteln, durch predigende Frauen oder Prostituierte und Penner in Kirchenbänken fühlten sie sich aufs äußerste provoziert. Manchmal waren es dann auch empörte Pfarrer, die Übergriffe gegen Mitarbeiter der Heilsarmee unterstützten.

Heute gilt die Heilsarmee in vielen Ländern der Welt längst als etablierte, vielleicht sogar etwas traditionelle Organisation. Noch immer aber versucht man mit viel Engagement und Innovation Menschen am Rande der Gesellschaft zu helfen; mit Anteilnahme, materieller Versorgung und mit dem Evangelium von Jesus Christus.

Mehr als 150 Jahre nach ihrer Entstehung in London arbeitet die Heilsarmee weltweit in 131 Ländern. In 14 528 Heilsarmee- Gemeinden, sogenannten „Korps“ treffen sich 1,8 Millionen Menschen. In der Heilsarmee sind 26 000 „Offiziere“ und mehr als 112 000 Angestellte vollberuflich tätig. Die Heilsarmee unterhält weltweit unter anderem 52 Krankenhäuser, sowie 288 Gesundheitszentren, 160 Altenheime, 495 Obdachloseneinrichtungen, 1 782 Schulen, 955 Kindergärten und 10 Hochschulen. Außerdem engagiert man sich regelmäßig in der internationalen Katastrophenhilfe.

Mitglieder der Heilsarmee verpflichten sich nach christlichen Maßstäben zu leben, auf Alkohol, Tabak, Drogen, Pornographie und den übermäßigen Konsum von Medikamenten zu verzichten. Außerdem sollen sie sich regelmäßig sozial, gemeindlich und missionarisch engagieren.

Man kann der Heilsarmee nur wünschen, dass sie auch in Zukunft noch kreativ und mutig auf die Liebe und die Vergebung Jesu hinweist, gerade in einer Umgebung in der sonst nur wenige Christen zu finden sind.

(von Michael Kotsch)

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