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Abrahams Grab

– Widersprüche in der Bibel –

Sowohl Juden als auch Christen und Muslime ziehen heute nach Hebron, um dort das Grab Abrahams und seiner Frau zu besuchen. Für sie alle ist Abraham der von Gott berufene Stammvater, der, dem Gott seine besondere Treue zusagte. Wenn die Vertreter unterschiedlicher Glaubensrichtungen hier zusammenkommen, sind auch schwerwiegende Konflikte natürlich vorprogrammiert. Nachdem er Hebron erobert hatte, ließ der islamische Gewaltherrscher Baibar I. alle Juden und Christen die bisher in der Stadt gewohnt hatten, töten bzw. vertreiben. 1517 eroberten die muslimischen Osmanen Hebron. Dabei töteten und vertrieben sie erneut fast alle Juden. Erst Jahrzehnte später kamen einzelne jüdische Siedler zurück in die Stadt. 1929 ermordeten Muslime 67 Juden der örtlichen Synagoge und vertrieben alle übrigen. 1994 erschoss der jüdische Arzt und Siedler Baruch Goldstein 29 Muslime in einer Moschee in Hebron. Von radikalen Juden wird er deshalb bis heute verehrt. In den letzten Jahrzehnten tobt ein mehr oder weniger verdeckter Kampf zwischen Muslimen und Juden um den Einfluss in Hebron. Nur aufgrund der Kontrolle des israelischen Militärs blieben die Auseinandersetzungen zumeist ohne große körperliche Schäden.

Über Jahrhunderte hinweg war es Juden und Christen von den muslimischen Herrschern streng verboten, das Grab Abrahams zu betreten. Seit 1967 steht der Komplex unter israelischer Verwaltung. Seitdem haben Vertreter alle drei Religionen hier Zugang. Im Kern stammt das Gebäude aus der Zeit des Neuen Testaments. König Herodes der Große hatte es als würdige Gedenkstätte für das Grab Abrahams errichten lassen. Bei dem Gebäude haben Archäologen Gräber gefunden, die sehr gut zur Zeit der biblischen Stammväter passen. Genauer kann man die konkreten dort begrabenen Personen mit rein naturwissenschaftlichen Methoden natürlich nicht bestimmen. In späteren Jahrhunderten wurde das Gebäude von Christen, Muslimen und Kreuzfahrern umgebaut und erweitert.

Auch für Christen ist es durchaus interessant, das Grab Abrahams zu besuchen, vorausgesetzt die jeweilige Sicherheitslage in Hebron lässt das zu. Immerhin sehen auch Christen sich in einer gewissen Kontinuität zu Abraham, wenn auch eher in geistlicher Hinsicht. Im Neuen Testament wird der vorbildliche Glaube Abrahams mehrfach erwähnt (Jak 2, 21-23; Hebr 11, 8-10). Indirekt wurde durch ihn auch schon das Kommen Jesu angekündigt (Apg 3, 13; Röm 4). Christen sollen sich, diesen Darstellungen entsprechend, an Abraham und Gottes einzigartiges Handeln mit ihm erinnern. Sie vergessen nicht, dass Gott verpochen hat, auch weiterhin mit den Nachkommen Abrahams, dem Volk der Juden, handeln zu wollen. Natürlich können sich Christen auch ganz ohne Grab an Abraham und seien Zeit erinnern. Immerhin beschreibt die Bibel die damaligen Ereignisse ziemlich ausführlich (1Mose 11-25).

Vorsorglich hatte Abraham schon beim Tod seiner Frau Sara in der Nähe von Hebron, auch Kirjat-Arba genannt, eine Höhle als Grab gekauft. Detailliert werden in 1.Mose 23 die Einzelheiten der Verhandlungen und des Kaufs beschrieben. Als vorheriger Besitzer des Landstücks wird dort der Hetiter Efron angegeben; höchstwahrscheinlich ein Bewohner der Stadt Hebron. Nicht weit entfernt lag das Wäldchen Mamre, bei dem Abraham längere Zeit lebte (1Mose 14, 13). Das Grundstück gehörte einem Amoriter mit Namen Mamre. Offensichtlich suchte Abraham ein Grab nahe seines letzten Wohnortes. Nach seinem Tod wurde Abraham neben seiner Frau Sara in der von ihm gekauften Höhle begraben (1Mose 25, 8-10). Bis heute wird die Gedenkstätte an das Grab Abrahams auch „Machpela“ genannt, was auf Deutsch so viel heißt wie „Höhle der Doppelgräber“. Später wurden hier auch noch auch Isaak begraben, sowie seine beiden Frauen Rebekka und Lea (1Mose 49, 29-32).

So weit so gut. Für aufmerksame Bibelleser aber wirkt es da etwas irritierend, dass Stephanus, als Diakon der ersten urchristlichen Gemeinde von Jerusalem, in der Rede vor seiner Ermordung anzudeuten scheint, dass Abraham sein Grab nicht in Hebron, sondern in Sichem gekauft haben sollte und das nicht vom Hetiter Efron, sondern von „den Söhnen Hemors“ (Apg 7, 16). Manche Ausleger nehmen deshalb an, Stephanus habe sich geirrt oder es habe zu seiner Zeit noch andere Überlieferungen über die Grabstätte Abrahams gegeben, vielleicht von Samaritanern, die den Begräbnisort gerne auf ihr eigenes Territorium verlegt hätten. Für solche Hypothesen aber spricht nur wenig. Bisher konnten ähnliche Überlieferungen nämlich nicht nachgewiesen werden.

Außerdem erscheint es ziemlich unwahrscheinlich, dass ein Mann mit frommen jüdischem Hintergrund, wie Stephanus, die allgemein bekannte alttestamentliche Überlieferung des Grabes Abrahams bei Hebron, nicht einmal erwähnt, wenn er über dieses Thema spricht. Wenn man aber den Text der Rede des Stephanus genau betrachtet, fällt einem auf, dass er an dieser Stelle gar nicht vom Begräbnisort Abrahams spricht, sondern von den Gräbern der Söhne Jakobs, insbesondere über das von Joseph (Apg 7, 8-16). Jakob selbst war schon kurz nach seinem Tod von Joseph bei Abrahams Grab  nahe Hebron bestattet worden; wie er sich das zu Lebzeiten gewünscht hatte (1Mose 50, 13)

Tatsächlich wird von Stephanus das Grab Abrahams in diesem Zusammenhang auch gar nicht erwähnt. Zwischenzeitlich beschreibt er in seinem Überblick über die Geschichte gerade die Rückkehr Israels von Ägypten in das ihnen verheißen Land. Dabei wurden die Gebeine der dort verstorbenen Stammväter, insbesondere die von Jakobs Söhnen, mitgenommen und bei Sichem auf einem Gelände bestattet, das ehemals Abraham von den „Söhnen Hemors“, also den Einwohnern von Sichem, gekauft hatte. In der Bibel wird erwähnt, dass Abraham einige Zeit in Sichem gelebt und dort auch einen Altar gebaut hatte (1Mose 12, 6-8). Hier versprach Gott ihm und seinen Nachkommen das ganze Land als Erbe.

Von Stephanus, der offensichtlich über zusätzliche Informationen verfügte, werden wir informiert, dass Abraham damals auch Land bei Sichem gekauft hatte. Darauf befanden sich sein Lager und ein von ihm gebauter Altar. Da er zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich alt war, dachte Abraham möglicherweise auch hier beerdigt zu werden. Später zog er dann aber doch noch weiter und erwarb die Grabhöhlen bei Hebron. Nachdem Abraham den Ort verlassen hatte, eigneten sich die Bewohner von Sichem das Gelände wieder an, sodass es viele Jahre später von Jakob erneut gekauft werden musste (1Mose 33, 18-20). Jetzt blieb es in der Hand seiner Erben, sodass nach der Rückkehr Israels aus Ägypten, die Überreste Josephs und seiner Brüder dort bestattet werden konnten (Jos 24, 32). Bis heute wird in Sichem eine Gedenkstätte gezeigt, die an das Grab Josephs erinnert. Durchaus naheliegend ist die Andeutung des Stephanus, dass dort nicht nur Joseph sondern auch seine Brüder zur letzten Ruhe gebettet wurden.

Stephanus geht es in seiner Ansprache primär nicht darum, genau zu beschreiben, wo wer beerdigt wurde. Für seine Zuhörer will er lediglich kurz die Kontinuität des Planes und der Verheißungen Gottes für sein Volk Israel deutlich machen, um dann Jesus als die eigentliche Erfüllung an die Erzväter vorzustellen. Seine diesbezüglichen Aussagen sind vielleicht nicht so detailliert, wie sich das manche heutige Leser wünschen würde. Die genannten Fakten aber stimmen durchaus mit den Angaben des Alten Testaments überein. In diesem Zusammenhang ist das erstaunlich und untermauert die historische Relevanz der Bibel. Auch noch nach so vielen Jahrhunderten erinnern konkrete Orte und archäologische Funde an die Ereignisse und Personen der Heilsgeschichte Gottes.

(von Michael Kotsch)

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