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Apokryphen. Heilige Schriften der Christenheit!?

Über Konfessionsgrenzen hinweg stimmen Inhalt und Umfang der Bibel grundsätzlich überein. Einen gewissen Unterschied gibt es bei den sogenannten Apokryphen (Judit, Weisheit, Tobit/ Tobias, Jesus Sirach, Baruch, Brief des Jeremia, 1. und 2. Buch der Makkabäer, Zusätze zum Buch Ester, Zusätze zum Buch Daniel und das Gebet des Manasse). Der Begriff „apokryph“ stammt aus dem Griechischen und lässt sich mit „dunkel“ oder „verborgen“ übersetzen. Die Apokryphen werden auch als „Spätschriften des Alten Testaments“ bezeichnet. Sie wurden in der Zeit vom 4. bis zum 1.Jahrhundert vor Christus verfasst.

Bei den meisten katholischen und einigen orthodoxen Bibelausgaben sind diese Schriften normaler Bestandteil des Alten Testaments. Auch in der Lutherbibel sind die Apokryphen enthalten, werden aber besonders gekennzeichnet. In der evangelischen Kirche betrachtet man diese Schriften als hilfreich zu lesen, aber nicht als von Gott inspiriert. Im Kern gründet sich die verschiedenartige Einordnung der Apokryphen auf die Verwendung einer unterschiedlichen Übersetzungsgrundlage. Die meisten Christen der ersten Jahrhunderte konnten kein Hebräisch. Deshalb lasen sie die weit verbreitete Septuaginta, die von Juden im 3. Jahrhundert v. Chr. angefertigte griechische Übersetzung des Alten Testaments. Darin waren die Apokryphen enthalten. Als man die Bibel später ins Lateinische und andere Sprachen übersetzte, stützten sich katholische Theologen weiterhin auf diese griechische Bibelausgabe. Bereits von gelehrten Theologen der frühen Kirche, wie Hieronymus (347-420), wurde dieses Vorgehen aber schon immer kritisiert. Der von den Juden als heilig angesehene hebräische Kanon des Alten Testaments enthielt die Apokryphen nämlich nicht. Auch die frommen Juden lasen diese Schriften. Gelegentlich zitierten ihre Rabbiner sogar daraus. Sie zählten sie aber nicht zu den autoritativen Büchern, den von Gott geoffenbarten Schriften.

In späteren Jahrhunderten stützten katholische Theologen die Fegefeuerlehre und einzelne Mariendogmen unter anderem auf Aussagen der Apokryphen. Das erschwerte eine spätere Streichung dieser Schriften, selbst wenn es dafür durchaus gute Gründe gab. In der Reformationszeit wollte man wieder möglichst nahe zum Original zurück; in diesem Fall zu den ursprünglichen hebräischen Texten. Da die Juden in ihrem hebräischen Kanon heiliger Schriften auf die Apokryphen verzichteten, zählten auch Luther und andere protestantische Bibelübersetzer diese Texte nicht zum eigentlichen Umfang der Heiligen Schrift. Aufgrund ihres Alters, ihres Informationsgehalts über die Geschichte Israels in den Jahrhunderten vor dem Kommen Jesu und vieler Aussagen, die mit anderen Passagen der Bibel weitgehend übereinstimmen, entschied sich Luther die Apokryphen dennoch in die Bibel aufzunehmen; dann aber besonders zu kennzeichnen. Unter evangelischen Theologen war man sich einig, dass es sich hier um wertvolle, lesenswerte Schriften handelte. Gleichzeitig betrachtete man sie aber nicht als vom Heiligen Geist inspiriert, weshalb keine grundlegenden christlichen Lehren auf die Aussagen der Apokryphen aufgebaut werden sollte.

In der orthodoxen Kirche betrachte man die alttestamentlichen Apokryphen erst als Teil der Bibel. Dann folgte man der protestantischen Argumentation und isolierte sie vom übrigen Alten Testament. In jüngster Zeit sind diese Schriften in vielen orthodoxen Bibelübersetzungen wieder normaler Bestandteil des Alten Testaments.

Keine der großen Kirchen verurteilen die Apokryphen als sektiererische Schriften. Die meisten Gelehrten sind sich darüber einig, dass diese Texte wertvolle historische und geistliche Informationen enthalten. Gleichzeitig sollte man aber beachten, dass die Juden und auch fast alle Protestanten gut begründete Bedenken gegen die Gleichstellung dieser Schriften mit den allgemein anerkannten Büchern des Alten Testaments vorgebracht haben. Wer gerne in den Apokryphen ließ, tut gut daran, deren Aussagen nicht dieselbe Autorität zuzusprechen wie dem Rest der Bibel. Man sollte auch darauf verzichten, theologische Lehren mit Aussagen der Apokryphen zu begründen, vor allem dann, wenn sie in keinem anderen Teil der Bibel bestätigt werden.

Die Apokryphen des Neuen Testaments, wie das Judas- oder Maria Magdalena- Evangelium, standen nie in ernsthafter Diskussion in die Bibel aufgenommen zu werden. Alle sind erst deutlich später als die authentischen Schriften des Neuen Testaments verfasst worden, teilweise erst Jahrhunderte später. Fast alle wurden anonym verfasst und geben Lehren sektiererischer Gruppen wieder, die immer schon von den Christen abgelehnt wurden. Keine der neutestamentlichen Apokryphen stammt von einem der Jünger Jesu oder deren Schülern und Mitarbeitern. Genau das war aber ein wichtiges Kriterium für die Zusammenstellung des Neuen Testaments. In Bezug auf diesen Teil der Bibel besteht zwischen den christlichen Kirchen und Gemeinden große Einigkeit über die von Gott inspirierten und autorisierten Schriften. Nach verhältnismäßig kurzer Diskussion stand das bereits Ende des 2.Jahrhunderts weitgehend fest.

„Die ganze [heilige] Schrift ist von Gottes Geist gegeben und von ihm erfüllt. Ihr Nutzen ist entsprechend: Sie lehrt uns die Wahrheit zu erkennen, überführt uns von Sünde, bringt uns auf den richtigen Weg und erzieht uns zu einem Leben, wie es Gott gefällt.“ (2.Timotheus 3, 16)

(von Michael Kotsch)

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