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Ich bin wichtig!

Jeder Mensch hält sich für wichtig. Bei einigen fällt das sofort auf, weil sie sich ständig in den Mittelpunkt zu drängen versuchen und fast immer nur über sich selbst sprechen. Bei anderen ist das nicht so auffällig, weil sie dezenter vorgehen, letztendlich aber auch vor allem an sich selbst interessiert sind.

Durchaus zurecht kann man die starke Ichbezogenheit jedes Menschen moralisch kritisieren. Ganz besonders aus christlicher Perspektive wird Egoismus eher als Problem betrachtet. Stattdessen soll der Mensch lernen sich vor allem auf Gott und auf den Nächsten auszurichten und das, ohne einen persönlichen Vorteil davon zu erwarten. Allerdings besteht ein grundlegender Unterschied zwischen der unabänderlichen Tendenz, sich selbst sehr wichtig zu nehmen und dem Egoismus. Ein Egoist pflegt die angeborene Ich- Perspektive und will sie keinesfalls kritisch beleuchten. Auch der überzeugte Christ wird weiterhin immer von sich aus denken und handeln, aber er bemüht sich zumindest darum, Gott und den Anderen stärker zu gewichten.

Letztendlich ist es eben auch gar nicht möglich, die Ich-bin-wichtig-Perspektive ganz zu verlassen. Immerhin fühlt man die eignen Schmerzen wesentlich deutlicher als die des Anderen, auch wenn man wirklich echtes Mitleid hat. Keine Lebensgeschichte kennt man so gut wie die eigene. Man spürt, hört und sieht die Welt und die anderen Menschen eben auch nur mit den eigenen Sinnen und nicht mit denen eines anderen Menschen. Der eigene Charakter, die eigene Erziehung und jeweilige Persönlichkeit bestimmen Wahrnehmung und Einordnung anderer Menschen und auch der ganzen übrigen Welt erheblich. Selbst wenn man es wirklich will, kann man sich nur ganz begrenzt in das Denken und die Lage eines anderen Menschen hineinversetzen. Aber es gibt eben einen großen Unterschied zwischen der unveränderlichen Ich-Perspektive jedes Menschen und dem von Gott kritisierten Egoismus, der alles andere nur instrumentalisiert und auf sich selbst zu beziehen versucht, selbst seinen Schöpfer.

Mit großer Begeisterung missbraucht die Werbung das Verssprechen der eigenen Wichtigkeit. „Du bist ein guter Mensch“, wird einem vermittelt. Aber natürlich nur, wenn du auch öko, klimaneutral oder fairetrade kaufst. Will der Kunde das gute Gefühl seiner eigenen Wichtigkeit behalten, dann bezahlt er selbst für ziemlich überteuerte Produkte. Viele Unternehmen oder geschäftstüchtige YouTuber bringen ihre Waren an den Mann, indem sie erst eine scheinbar vertrauliche, persönliche Basis schaffen. Der Kunde wird als „Freund“ oder „Kumpel“ angesprochen, als ob man an ihm und seinem Wohlergehen ganz besonders interessiert wäre. Gerne stellt man sich bei dem entsprechenden Internetauftritt mit Vornahmen vor, spricht vom hervorragendem Teamwork und lädt den Kunden ein, mit seinem Kauf in diesen Freundschaftsbund aufgenommen zu werden. Da kann kaum noch jemand wirklich „nein“ sagen.

Gleichzeitig wird immer häufiger versprochen, dass jeder mit dem ausgegebenen Geld gleich auch noch zum Weltverbesserer wird; wodurch sich das Gefühl der eigenen Bedeutung natürlich noch einmal steigert. Fast alle Unternehmen ernennen ihre Kunden zu „Königen“, zumindest bis die ersten Konflikte auftreten. Prinzipiell will man „alle Wünsche der Kunden“ umsetzen, denkt und lebt nur für sie, wenigstens in der Werbung. Mit dem Hinweis, dass man doch sicher ein „guter Mensch“ sei, ziehen einem Spenden- Werber geschickt das Geld aus der Tasche. Denn wer will so einer schmeichelhafte Aussage ernsthaft widersprechen und sich hungernden Kindern, streunenden Hunden oder der Rettung des Klimas gegenüber als Ignorant erweisen. Andere Werbungen sichern einem schon den Besitz einer Ware oder Dienstleistung zu, ehe man überhaupt daran gedacht hat, sie zu erwerben: „Dein Haus“, „Dein Müsli“, „Dein Urlaub“ usw. – Gott sagt dem Menschen in der Bibel die Wahrheit über sich selbst in positiver wie auch im negativer Hinsicht. Viele wollen das allerdings nicht hören (Mk 4, 11+12; 2Tim 4, 3+4).

Fast alle postmodernen Menschen haben eine kaum stillbare Sehnsucht nach Bestätigung der eigenen Bedeutsamkeit. Um fast jeden Preis möchte man die Zustimmung der Freunde oder der beruflichen Community. Im Internet drückt sich das aus, durch die Zahl der Klicks oder der erhobenen Daumen. Freunde sollen einem die eigene Bedeutsamkeit beständig bestätigen, indem sie kommentieren wie gut man etwas kann oder wie phantastisch man aussieht. Die eigene Bedeutung kann relativ einfach durch Reisen oder neue Anschaffungen gesteigert werden; sofern man sie auch genügend inszeniert.

Weil Menschen von der eigenen Bedeutsamkeit überzeugt sind, wollen sie jeden Schritt ihres Lebens mit Fotos und Texten dokumentieren, die sie dann online stellen. Die Welt soll mitbekommen, was ich gerade mache oder denke. In der Kommunikation beklagen Leute sich häufig, dass der andere Gesprächsteilnehmer  immer nur von sich erzählt, ohne wirkliches Interesse an den eigenen Anliegen. Manchmal aber verhält sich der Klagende ebenso, nur fällt es ihm weniger auf, weil es dann ja um seine Themen geht. Menschen, die um diese Sehnsucht nach Bedeutung wissen, können andere spielend leicht für ihre eigenen Zwecke einspannen, wenn sie dem anderen nur häufig genug vermitteln wie gut und wichtig er ist. – Gott bestätigt den Menschen als sein geliebtes Kind und sein auserwähltes Gegenüber. Gleichzeitig aber macht er ihn auf seine Grenzen aufmerksam und fordert eine freiwillige Unterordnung unter seine Autorität (Spr 16, 18+19; Ps 111, 10).

Auch Beziehungen, Freundschaften und Ehen werden durch die kontinuierliche Sehnsucht nach Anerkennung belastet. Viele „lieben“ eine andere Person vor allem, weil sie die eigene Bedeutsamkeit steigern kann. Freunde und Partner sollen einen darin bestätigen, wie nett, talentiert, freundlich oder schön man selbst ist. In einer solchen Liebe geht es weit weniger um den anderen, sondern weit eher um sich selbst; auch wenn man sich das nur ungern eingesteht. Solche Beziehungen geraten natürlich noch weit schneller in Krisen als sowieso schon. Wenn man sich an den Zusprach des anderen gewöhnt hat, bedeutet er nicht mehr so viel und man sehnt sich nach einer Steigerung oder nach dem Beifall Außenstehender. Mit der Zeit gerät man auch unter den Erwartungsdruck des Partners, der ebenfalls in seiner Bedeutung bestätigt werden will. Jeder meint schließlich mehr zu geben als selber zu bekommen und wird deshalb unzufrieden. Viele meinen, nicht genügend anerkannt und geschätzt zu werden. Wenn dann noch, zum Teil durchaus gerechtfertigte Kritik dazu kommt, sind Partner schnell zutiefst gekränkt in ihrem Selbstbild. – Echte Liebe, wie die Bibel sie beschreibt, sucht aber gerade nicht den eigenen Vorteil oder die Steigerung der eigenen Bedeutung, sondern das wirkliche Wohl des Anderen (1Kor 13). Ohne Gottes Hilfe ist eine solche weitgehend selbstlose Liebe nicht möglich.

Manche Menschen treibt das übertriebene Versprechen ihrer eigenen Bedeutsamkeit in die Depression. Immer wieder wird ihnen gesagt, wie wichtig sie sind, und sie glauben es auch gerne. In ihrem realen Alltag aber läuft das Leben anders. Die Umgebung erkennt eben nicht immer die eigene Bedeutung und Wichtigkeit. Manchmal scheint es sogar so, als wäre man den meisten Menschen relativ gleichgültig; außer wenn sie sich vom Kontakt einen Vorteil versprechen natürlich. Immerzu wird Menschen versichert, dass ihre Meinung und ihre Entscheidung von außerordentlicher Bedeutung sind. „Wenn Du das wirklich willst, kannst Du alles machen und werden“. Prinzipiell ist alles möglich, wird dem postmodernen Konsumenten beständig vermittelt. Einige Aushängeschilder dieser Karriere vom „Tellerwäscher zum Millionär“ oder zum Erfolgs- YouTuber, zum Ausnahmekünstler, Schauspieler, App- Entwickler oder Bundesliga- Fußballer werden dann zumeist noch motivierend genannt. Danach aber fühlen sich viele Leute eher getrieben und deutlich zu wenig beachtet.

Das latente Gefühl der großen eigenen Bedeutung macht natürlich auch anfällig für Depression. Wenn das Leben sonst schon manche Schwierigkeiten beinhaltet, kommt jetzt für viele noch die große Enttäuschung der geringen eigenen Bedeutung dazu. In vielen Fällen hat Depression auch damit zu tun, dass man immer wieder in seiner anerzogenen Eitelkeit verletzt wird. Auf der einen Seite ist man von der eigenen Wichtigkeit überzeugt, auf der anderen Seite sieht und erlebt man davon nur wenig. – Gott zeigt dem Menschen, dass sein übersteigertes Selbstbild eine Illusion ist und das erst das Eingeständnis der eigenen Schwäche zu einer positiven Veränderung führen kann (Joh 9, 40+41; 1Joh 1, 9+10).

(von Michael Kotsch)

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