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Früher war alles besser!?

Früher war alles besser. Ja, früher waren die Menschen noch nicht so selbstsüchtig wie heute. Früher unterstütze man sich, hielt als Familie zusammen und half einander in Notlagen. Früher war die Arbeit noch nicht so stressig wie heute und es wurde mehr auf Qualität als auf den Preis geschaut. Früher wurden die Alten geachtet und geehrt. Früher waren die Politiker noch besser und gottesfürchtiger. Früher waren die Menschen noch ehrlich und treu usw.

So ist es manchmal zu hören, insbesondere von den älteren Mitbürgern. Dahinter verbirgt sich allerdings zumeist entweder eine milde Vergesslichkeit oder eine weitgehende Unkenntnis der Vergangenheit. Natürlich gibt es auch bestimmte Aspekte des Alltagslebens, die vor hundert oder zweihundert Jahren wirklich besser waren als heute. Im Großen und Ganzen trifft das aber nicht zu. Leute die so reden schaffen sich oft eine weltfremde Utopie oder sie blenden unbewusst einen Großteil der Realität aus.

In der „schönen alten Zeit“, vor hundertfünfzig Jahren, betrug die durchschnittliche Arbeitszeit in den Fabriken 10-14 Stunden bei einer Sechstagewoche. Wenige erreichten das Rentenalter, weil sie vorher an irgendeiner Epidemie oder an einem Arbeitsunfall starben. Um 1870 starben 25% aller Menschen bevor die erwachsen waren. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag bei 38 Jahren; heute ist die doppelt so hoch. Die Menschen lebten damals viel mehr in der Natur als heute, allerdings litten die meisten eher unter ihr, als das sie diesen Zustand genossen. Infektionen, Pilze, Parasiten usw. waren an der Tagesordnung. Auf ein mit dem heutigen ALDI- Angebot vergleichbaren Speiseplan konnten nur die Allerwohlhabendsten zurückgreifen.

Natürlich ließen sich weit weniger Menschen scheiden als heute, sie starben zumeist vorher. Eine wirklich freie Berufswahl gab es so gut wie gar nicht. Die allermeisten arbeiteten schwer körperlich in der Landwirtschaft oder unter gesundheitlicher Belastung in einer Fabrik. Mit der Rente hatte man keine Probleme, man starb gewöhnlich jung. Wer schließlich alt genug war, der musste trotzdem weiterarbeiten, denn der Staat zahlte nichts. Die meisten Familien setzten ihre alten, arbeitsunfähigen Verwandten eher vor die Tür, als sie zu ehren oder zu versorgen, wie zeitgenössische Quellen ungeschönt bezeugen. – Selbst Jahrhunderte früher, im „schönen“ Mittelalter war nicht alles so romantisch wie in entsprechenden Filmen und Romanen skizziert.

Doch zumindest was den Glauben betrifft sah es in der Vergangenheit besser aus als heute, wo die Mehrzahl der Menschen nicht im Geringsten nach Gott fragt und die ethischen Leitlinien der Bibel mit Füßen tritt. Sicher, insbesondere in Zeiten der geistlichen Aufbrüche (Reformation, Erweckungsbewegung usw.) fragten außerordentlich viele Menschen nach Gott. In den anderen Zeiten aber blühte der religiöse Betrug (z.B. Ämterkauf und Ablasshandel oder sektiererische Scharlatanerie). Wer ehrlich nach der Bibel fragte, konnte schnell als Störenfried verfolgt werden, wie es stellenweise mit evangelikalen Christen noch vor 150 Jahren geschah. Damals aber gab es auch schon Materialisten und Rationalisten, die mehr nach dem eigenen Vorteil und dem momentanen Genuss fragten als nach dem Willen Gottes. Schon immer gab es Phasen vollkommener Gottlosigkeit und Unmoral. In Zeiten des Barock prahlte jeder, der es sich leisten konnte, mit seinen vielfältigen sexuellen Eroberungen. Ehrlichkeit galt für viele als Dummheit. Adlige identifizierten sich mehr mit den griechischen Göttern als mit dem Gott der Bibel. Im 19. Jahrhundert überwog der Rationalismus. Selbst Pfarrer wollten nichts mehr von den Wundern der Bibel oder dem stellvertretenden Tod Jesu wissen. So etwas galt als rückständig und längst überholt.

Bereits im 13. Jahrhundert beschwerten sich Mönche über die große Zahl der Gottesdienstbesucher, die in der Kirche schliefen und schnarchten, statt der Predigt zu lauschen. Manche tanzten sogar in den „heiligen“ Räumen oder schliefen miteinander, wie zeitgenössische Quellen berichten. Ein Prediger beklagt, am Sonntag gäbe es „mehr Ausschweifung, Unmäßigkeit, Mord und Räuberei als an den übrigen Tagen der Woche“. Im Jahr 1017 traten in Orléans einige gelehrte Männer auf und verspotteten die Dreieinigkeit, die Schöpfungsgeschichte, den Himmel und die Hölle als „reines Gefasel“. Giraldus Cambresis (1146-1220) berichtet von einem Priester, der die Menschwerdung Gottes, die jungfräuliche Geburt Jesu, seine Auferstehung usw. als „freie  Erfindung der Vorfahren“ bezeichnete, die dazu dienen solle, die Menschen zu einem moralischen Leben zu erziehen. Der Gelehrte Simon von Tournai schrieb um 1201: „Allmächtiger Gott! Wie lange wird diese abergläubische Sekte der Christen noch existieren?“

Um 1200 äußert Prior Peter von Holy Trinity in Aldgate / London: „Es gibt viele Menschen, die glauben, es gebe keinen Gott und die Welt sei vom Zufall beherrscht. […] Es gibt viele, die glauben, es gebe keine Engel, kein Leben nach dem Tod noch irgendetwas Übernatürliches oder Geistliches.“ Viele aus der einfachen Bevölkerung spotteten über die ewige Verdammnis: „Jeder, der an die Hölle gewöhnt ist, wird sich dort gerade so wohl fühlen wie anderswo.“ Schon im altfranzösischen Aucassin et Nicolette findet sich die spöttische Bemerkung, in der Hölle habe man eine weitaus interessantere Gesellschaft als im Himmel. Dahin kämen nur die langweiligen Menschen. Natürlich dachten damals nicht alle so. Doch resümierte Berthold von Regensburg, einer der beliebtesten Prediger des 13.Jahrhunderts, etwas pessimistisch, unter hunderttausend Menschen fände man vielleicht nur einen der es mit dem Glauben wirklich ernst nehmen würde.

Christen sollten nicht so sehr einer vorgeblich „besseren, alten Zeit“ nachtrauern, als vielmehr ihre Gegenwart und die Zukunft positiv mitgestalten. Dankbar Gott gegenüber sollten sie die zahlreichen Segnungen wahrnehmen, die sie täglich genießen dürfen. – Natürlich sollten sie bei allem körperlichen und materiellem Wohlstand Gott nicht vergessen und sein zukünftiges Reich. Immer nur einer verklärten Vergangenheit nachzuweinen bringt aber nicht weiter, sondern lähmt eher für das verantwortliche Leben von heute. Da brauchen sich Christen auch nicht selber zu bemitleiden, weil ihre Umgebung so ablehnend und gleichgültig ist. Das ist lediglich eine geistliche Herausforderung, der es zu begegnen gilt. Christen sollten mutig auf Gott und seine Erlösung aufmerksam machen, die auch ein vergleichsweise satter und wohlhabender Mensch dringend nötig hat.

(von Michael Kotsch)

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