Die Säulen der Erde ist der Titel eines 1989 erschienen Romans des britischen Bestsellerautors Ken Follett. Darin beschreibt er den Bau einer Kathedrale im fiktiven südenglischen Ort Kingsbridge. Mit der Errichtung der Kirche will Prior Philip die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Adel, Klerus und dem unter Ausbeutung und Not leidenden Volk beenden. Nach einer langen Epoche der Gewalt und des Hasses soll mit dem gemeinsamen Projekt endlich eine Zeit des Friedens anbrechen. 2008 und 2017 veröffentlichte Follett dann noch zwei Fortsetzungen seines internationalen Bestsellers.
Eigentlich stammt die Idee von „Säulen der Erde“ aus einer altgriechischen Konzeption des Universums. Demnach ruht die flache Erde auf massiven Säulen und ist von einem halbrunden Firmament überspannt, an dem die Sterne befestigt sind. Vielfach wird heute behauptet, hierbei handele es sich um eine Vorstellung aus der Bibel. Manche machen sich angesichts moderner Erkenntnisse der Geologie und Astronomie über diese vorgeblich unwissenschaftlichen Beschreibungen der Bibel lächerlich. Gerne wird in diesem Zusammenhang das Bild von „Säulen“ auf denen der Erdboden ruht auch als Beispiel für die Widersprüchlichkeit oder Rückständigkeit der Bibel genannt.
Ganz so einfach ist die Angelegenheit dann allerdings doch nicht. Das Konzept einer flachen, auf Säulen ruhenden Erde findet sich nämlich in der Bibel so deutlich eigentlich gar nicht. Tatsächlich wird im Alten Testament gelegentlich von den „Säulen der Erde“ gesprochen. Beispielsweise in 1.Samuel 2, 8: „Gott gehören die Säulen der Erde, und auf sie hat er den Erdkreis gestellt.“ (vgl. Hi 9, 6; 26, 11, Ps 75, 4) An dieser Stelle steht das hebräische Wort קוּצמָ (mazuq).
„Säulen“ können in der Bibel sehr Unterschiedliches bezeichnen. Gelegentlich werden im Alten Testament Säulen angeführt, die als Kultbilder anderer Götter benutzt wurden (2Kön 17, 10; 18, 4; 23, 14). Der hier verwendete hebräischen Begriff הבָצֵּמַ (mazzebah) wird zumeist mit „Säule“, „Bildsäule“ oder „Denkmal“ übersetzt. Am häufigsten sind Säulen in der Bibel allerdings Teile von repräsentativen Gebäuden, wie dem Jerusalemer Tempel oder einem Palast (2Mo 27, 11; Ri 16, 26; 1Kön 7, 21). An diesen wie auch den meisten der folgenden Stellen findet sich das 11-mal im Alten Testament vorkommende hebräische Wort דוּמּעַ (ammud). Der Begriff wird sowohl wörtlich als auch im übertragen Sinn benutzt. Beispielsweise werden Wolkenformationen wegen ihres Aussehens gelegentlich als „Säulen“ bezeichnet (2Mo 13, 21; Hld 3, 6). Säulen können in der Bibel auch rein symbolisch die wichtigen Bestandteile einer Sache oder eines abstrakten Konzepts sein (Spr 9, 1).
Im Neuen Testament wird von Paulus beispielsweise die Gemeinde Gottes bildlich als „Säule der Wahrheit“ bezeichnet, weil sie seine Offenbarung in einer gottfernen Welt repräsentiert (1Tim 3, 15). An dieser Stelle findet sich der viermal im Neuen Testament vorkommende griechische Begriff στύλος (stylos), der sowohl für die Säule eines Gebäudes, als auch für eine Wolkenformation (Offb 10, 1) oder ein symbolisches Fundament gebraucht werden konnte (Offb 3, 12). In übertragenem Sinn werden mit demselben Wort Menschen als „Säulen“ bezeichnet, beispielsweise Jakobus, Johannes und Petrus (Gal 2, 9). Gott will bewährte Christen zu einer „Säule“ im Himmel machen (Offb 3, 12). In dieser Bedeutung wird auch heute noch gelegentlich von „Säulen der Gesellschaft“ gesprochen.
In der Alltagssprache gibt es darüber hinaus beispielsweise verschiedene „Säulen“ der Altersvorsorge oder der Gesundheitsversorgung. „Säule“ kann sowohl im biblischen Zusammenhang als auch im heutigen Sprachgebrauch so viel wie „Grundlage“ oder „Fundament“ meinen, im materiellen wie auch im übertragenen Sinn. Mit „Säulen der Erde“ bezeichnet die Bibel höchstwahrscheinlich eben keine geologische Formation, sondern all das worauf die Welt als Lebensraum des Menschen beruht, ihre strukturellen, materiellen und konzeptionellen Fundamenten.
In anderem Zusammenhang wird die Erde in der Bibel auch als rund beschrieben, frei im Weltraum hängend. „Gott spannt den Norden aus über der Leere und hängt die Erde über dem Nichts auf.“ (Hi 26, 7). Während der Schöpfung werden nur wenige Details über den formalen Aufbau der Erde genannt. Über dem Erdboden befindet sich demnach eine Wölbung, ein Firmament (1Mo 1, 6-8), das das Wasser auf der Erde vom Wasser im Himmel trennt. Später werden die Gestirne an diese Wölbung gesetzt (1Mo 1, 14-17). Eigentlich bezeichnet das hier benutzte hebräische Wort ע יַקִרָ (raqija`) die gehämmerte Fläche einer metallenen Schale. Der Begriff wird an dieser Stelle aber für etwas vollkommen anderes benutzt, für das es in der irdischen Welt eben nichts Vergleichbares gibt und damit auch keinen hundertprozentig passenden Begriff. Wahrscheinlich soll in diesem Zusammenhang lediglich der optische Eindruck des auf der Erde stehenden Menschen beschrieben werden. Die Erklärung der konkreten Details des Aufbaus des Universums bereiten den damit beschäftigten Wissenschaftlern auch heute noch inhaltliche und sprachliche Probleme. Abgesehen von der Begrenztheit des Wissens spielt hier auch die Begrenztheit der menschlichen Sprache eine entscheidende Rolle. – „Säulen der Erde“ jedenfalls kommen in der biblischen Schöpfungsgeschichte nicht vor.
Natürlich könnten sich die „Säulen der Erde“ aus Gottes Sicht auch auf Kontinentalplatten beziehen, die dem Erdboden als Fundament dienen; zumindest soweit wir das heute sagen können. Oder sie bezeichnen einfach die Grundlagen der ganzen irdischen Schöpfung Gottes: Materie, Naturgesetze, Ökosysteme usw.
Gott, der alles geschaffen hat und erhält kann natürlich auch eingreifen, wenn er will und die „Säulen der Erde“ erschüttern (Hi 9, 6; vgl. 26, 11).