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Flache Erde!? (5): Die Erde steht still / ist fest gegründet

In der Diskussion um die „flache“ Erde wird oftmals nicht nur deren Kugelgestalt bestritten, sondern auch andere, selbstverständlich gewordene Vorstellungen, wie die Eigenrotation des Planeten oder das Kreisen der Erde um die Sonne. Besonders gerne berufen sich Anhänger einer „flachen Erde“ auf Psalm 119, 90: „Du [Gott] hast die Erde fest gegründet, und sie bleibt stehen.“ Daraus wird dann geschlossen, dass die Erde sich weder um sich selbst drehen könne, noch um die Sonne. Ähnlich wird beispielsweise auch Psalm 75, 4 interpretiert: „Die Erde mag wanken und alle, die darauf wohnen, aber ich halte ihre Säulen fest.“ An dieser Stelle geht es offensichtlich um folgenden Zusammenhang: Gott hat den Himmel geschaffen und die Erde „fest“ gemacht, das heißt trocken und begehbar im Vergleich zu Meer und Luft (Spr 3, 19; Jes 44, 24). Darüber hinaus ist das von Gott geschaffene System der Erde stabil und dauerhaft, trotz Erdbeben und anderen Naturkatastrophen. In diesem Zusammenhang werden aber weder die mögliche, gleichmäßige Drehung des Planeten noch die Bewegung der Erde um die Sonne angesprochen.

Direkt im Anschluss an Psalm 119, 90 heißt es dann übrigens ergänzend: „Nach deinen Ordnungen bestehen sie bis heute; denn es muss dir alles dienen.“ (Ps 119, 91). Hier wird deutlich, dass es bei der „fest stehenden Welt“ um keinen Stillstand der Erde im Gegensatz zu einer möglichen Bewegung des Planeten geht, sondern um ein Weiterbestehen der Schöpfung, trotz aller natürlich oder menschlich verursachten Katastrophen. Gottes Ordnung erweist sich auch in diesem Zusammenhang als dauerhaft und fest stehend. Mit den Worten „Herr, dein Wort bleibt ewiglich, so weit der Himmel reicht“, wird die Aussage von der fest stehenden Erde eingeleitet (Ps 119, 89). Diese Stabilität seiner Schöpfung hat Gott auch andernorts mehrfach versprochen (z.B. 1Mo 8, 21+22; Pred 1, 4). Der in Psalm 119, 90 benutzte hebräische Begriff דמַע (`amad) wird sowohl für das Stillstehen eines Menschen benutzt (1Mo 24, 31) wie auch für das Beenden einer Handlung (1Mo 29, 35) oder um jemanden vorzustellen (1Mo47, 7). Das Wort kann ausdrücken, dass jemand oder etwas  „weiterexistiert“ (2Mo 9, 16; 2Mo 18, 23) oder, dass „das Leben erhalten bleibt“ (2Mo 21, 21). Bei dem Wort דמַע geht es also in erster Linie darum, einen bestimmten Zustand zu stabilisieren oder für einige Zeit festzuhalten. Es wird dabei keine generelle Bewegungslosigkeit der betreffenden Person oder des beschriebenen Gegenstandes vorausgesetzt.

Außerdem sollte nicht vergessen werden, dass sich gerade in den poetischen Texten der Bibel zahlreiche Wortbilder finden, die man naturwissenschaftlich nicht überinterpretieren darf: „Gott ist es, der seinen Saal in den Himmel gebaut und seinen Palast über der Erde gegründet hat, der das Wasser im Meer herbeirief und auf das Erdreich schüttete.“ (Am 9, 6) Diese Aussage ist höchstwahrscheinlich nicht buchstäblich, sondern sinnbildlich gemeint. Andernorts wird nämlich klar, dass Gott eben nicht in einem speziellen Saal wohnt oder mit dem Meer spricht.

„Erzittere vor ihm, ganze Erde! Auch steht der Erdkreis fest, er wird nicht wanken.“ (1Chr 16, 30) Im Deutschen kann die Formuliereng etwas oder jemand „steht fest“ sehr unterschiedliche Bedeutungen haben. Beispielsweise kann eine Uhrzeit oder eine Verabredung „feststehen“. Gemeint ist damit, dass man sich auf einen Termin geeinigt hat, der jetzt verpflichtend ist. Eine Meinung, ein Plan oder eine Überzeugung kann ebenfalls „feststehen“. Gemeint ist dann, dass jemand gut über etwas nahgedacht hat und jetzt zu einem begründeten Ergebnis gekommen ist, das nicht leichtfertig wieder beiseitegeschoben wird. Eine Person kann einen „festen Stand“ haben. Das bedeutet, sie ist sehr von ihrer Position überzeugt oder ihre Stellung in einer Organisation ist gut abgesichert bzw. von anderen unterstützt. Wenn ein Gebäude „fest steht“ ist das Fundament vermutlich nur schwer zu erschüttern. Bibelleser werden in diesem Zusammenhang an Jesu Gleichnis vom „Haus auf dem Sand und vom Haus auf dem Felsen“ denken (Mt 7, 24-27). Das Haus auf dem Felsen ist selbst bei schwerem Regen und Sturm sicher, weil es auf einem stabilen Fundament gebaut wurde. Mit seinem im Gleichnis beschriebenen „festen Stand“ des Hauses spricht Jesus im übertragenen Sinne eigentlich über die dauerhafte Verbindung eines Menschen mit Gott, dessen Prinzipien sich auch im konkreten Leben des Betreffenden niederschlagen. Ein solcher Mensch „steht fest“. Mit seiner möglichen Körperbewegung hat das allerdings nichts zu tun.

Doch auch bei der buchstäblichen Bedeutung eines geeigneten Bauplatzes soll von Jesus natürlich nicht gesagt werden, dass ein gut gegründetes Haus unter keinen Umständen bewegt werden kann. Bei einem schweren Erdbeben oder einem Tsunami beispielsweise können auch starke Fundamente die Erschütterung oder sogar den Einsturz eines Gebäudes oft nicht verhindern. Gleiches gilt für eine Bombe oder einen Raketenbeschuss. „Fest gegründet“ muss also nicht unbedingt bedeuten, dass sich etwas unter keinen Umständen bewegt, bzw. bewegen kann. Überhaupt bezieht sich ein „fester Stand“ fast immer auf die direkte Umgebung. Jemand kann zum Beispiel fest auf einem Schiff stehen. Ob sich das Schiff gleichzeitig mit der Person an Bord bewegt oder vertäut im Hafen liegt, ist für diese Feststellung weitgehend irrelevant. „Fest zu stehen“ meint, dass eine Person oder ein Gegenstand nicht unsicher oder wackelig mit seiner direkten Unterlage verbunden ist. Ob sich der unmittelbare Boden in einem größeren Zusammenhang bewegt, darüber wird nicht zwangsläufig eine Aussage gemacht.

„Fest stehen“ und „nicht wanken“ bezieht sich im Zusammenhang von 1.Chronik 16, 30 auf die dauerhafte Stabilität der Schöpfung Gottes. Gott muss gelobt werden, weil seine Konstruktion nicht mangelhaft oder fehleranfällig ist. Eine mögliche, kontinuierliche Bewegung der ganzen Erde wird an dieser Stelle gar nicht angesprochen. So etwas würde die Größe der Schöpfung Gottes auch in keiner Weise einschränken oder relativieren. Und genau darum geht es in der hier genannten Stelle.

Wenn in der Bibel davon gesprochen wird, dass Gott die Erde gut „gegründet“ hat, dann ist damit gewöhnlich nicht die Unbeweglichkeit der Erde gemeint, sondern deren weise Konzeption und Schöpfung am Anfang der Zeiten (z.B. Jes 45, 18).

(Michael Kotsch)

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