Über viele Jahrzehnte hinweg war Desmond Tutu einer der weltweit bekanntesten Südafrikaner. Ende Dezember 2021 ist er im Alter von 90 Jahren gestorben. Er hatte das Land durch die schwierige Phase der Apartheit hin zur allgemeinen Demokratie begleitet. Einerseits bleibt der anglikanische Erzbischof aufgrund seiner persönlichen Frömmigkeit in Erinnerung, andererseits aufgrund seines vielfältigen und gelegentlich auch einseitigen gesellschaftlichen Engagements. Tutu benannte deutlich was er als ethisch richtig und als falsch ansah.
Desmond Tutu wuchs mit drei Schwestern auf. Sein Vater war Lehrer. In seiner Kindheit und Jugend wurde er religiös von den Methodisten geprägt. Schon früh entwickelte er ein besonderes Interesse an Glaubensfragen. Seine frühe Bildung erhielt Tutu an Missionsschulen. Eigentlich wollte er Medizin studieren. Dazu fehlte der Familie aber das nötige Geld. Deshalb absolvierte Tutu eine Lehrerausbildung und arbeitete dann auch in diesem Bereich.
Frustriert über die staatlich festgeschriebene Benachteiligung schwarzer Kinder gab er den Lehrerberuf auf, studierte Theologie und trat in den Dienst der anglikanischen Kirche. In den 1960er Jahren studierte Tutu am Kings College in London und unterrichtete daraufhin einige Zeit Theologie an der „University of Botswana, Lesotho and Swaziland“.
1976 wurde er Bischof von Lesotho. Deutlich sprach Tutu sich in dieser Zeit gegen die Apartheid aus, ein politisches System der südafrikanischen Regierung zur strengen Trennung zwischen Schwarz und Weiß in den meisten Bereichen des Lebens. Tutu unterstützte Aktivisten und forderte gleiche Rechte für alle Südafrikaner, unabhängig ihrer Hautfarbe. Als Bischof schrieb er an den südafrikanischen Premierminister und wies ihn auf die drastisch zunehmende Unzufriedenheit unter der schwarzen Bevölkerung hin, die schon bald in Gewalt münden könne; was kurze Zeit später dann auch tatsächlich passierte. Als Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrats wurde Tutu wegen seinen deutlichen Stellungnahmen gegen die Apartheid vor Gericht angeklagt. Hier verteidigte er sich selbst, ohne Anwalt; vor allem mit zahlreichen Verweisen auf die Bibel, nach der es keine systematische Unterdrückung von Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe geben dürfe.
Ähnlich wie Martin Luther King vor ihm in den USA setzte Tutu dabei auf Gewaltlosigkeit und auf eine Aussöhnung zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen. Er argumentierte, dass wenn der schwarze Mann nicht frei sei, es der weiße erst recht nicht sein könne, da dieser sonst in ständiger Angst vor den Farbigen leben müsse. Obwohl Tutu auch enge Verbindungen mit Nelson Mandala, dem Leiter des „African National Congress“ (ANC) unterhielt kritisierte er ab 2008 dessen ausgedehnte Korruption und Vetternwirtschaft, seit der Übernahme der politischen Leitung des Landes.
Für seine Menschenrechtsaktivitäten wurde Tutu 1984 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Von 1986 bis 1996 war er anglikanischer Erzbischof in Südafrika. In breiter Öffentlichkeit engagierte er sich gegen Gewalt an Kindern, für die Einschränkung von privatem Waffenbesitz und für den Klimaschutz. In den letzten 20 Jahren seines Lebens warb Tutu insbesondere für friedliche Konfliktlösungen auf allen Ebenen des privaten und öffentlichen Lebens.
Mit scharfen Worten kritisierte Tutu das Vorgehen der israelischen Regierung gegen die Palästinenser als „Apartheid“, insbesondere die Erniedrigung vieler Palästinenser an militärischen Checkpoints und in den besetzten Gebieten. Tutu forderte außerdem, die amerikanische und die englische Regierung sollten wegen ihres vorgeblich völkerrechtswidrigen Irakkrieges vor Gericht gestellt werden. In seinen letzten Jahren sprach er sich auch vehement für die Gleichberechtigung Homosexueller aus.
In Tutus Umgebung waren die Menschen beeindruckt von seiner persönlichen Frömmigkeit, seiner Betonung des Gebets und seiner praktischen Hilfe bei Menschen aus seinem direkten Umfeld. Immer wieder zog Tutu sich für Stunden oder auch Tage zu Gebet und Bibellese zurück, um sich neu auf Gott auszurichten und seine Entscheidungen von ihm prägen zu lassen.
International bekannt geworden ist Tutu vor allem durch sein politisches und soziales Auftreten. Das war allerdings nicht immer nur an den Aussagen der Bibel orientiert, sondern häufig auch an den jeweiligen Gerechtigkeitsvorstellungen westlicher Intellektueller und des europäischen Humanismus, dem er sich stark verbunden fühlte. Zumeist traf Tutu mit seinem Engagement die großen und populären Themen seiner Zeit. Im Gegensatz zu anderen Kämpfern gegen die Apartheid setzte er aber immer auf weitmöglichste Gewaltfreiheit.
Zweifellos hat Tutu mit seinem Einsatz viel Positives für eine friedliche Veränderung Südafrikas bewirkt. Gleichzeitig hat er aber auch zur Politisierung von Glaube und Kirche beigetragen. In vielen öffentlichen Reden standen gesellschaftliche Veränderungen nach den Vorgaben eines sozial ausgerichteten, aufgeklärten Liberalismus im Vordergrund. Geistliche Apelle oder Kampagnen zur Förderung von Frömmigkeit und Bibellesen traten dahinter weitgehend zurück. Aus spezifisch christlicher Perspektive muss Tutus Engagement deshalb zwiespältig betrachtet werden. Es ging Tutu nicht wirklich um eine an den Maßstäben Gottes orientierte Ethik und einen christlichen Lebensstil, sondern um mutmaßlich zeitgemäße, soziale Verbesserungen der Gesellschaft.
(von Michael Kotsch)