Israel ist immer wieder gut für eine archäologische Sensation. Gerade das trockene und wenig besiedelte Gebiet südlich und östlich von Jerusalem schützt geschichtliche Überreste auch langfristig vor Entdeckung und Zerstörung. Typisches Beispiel dafür sind die aufsehenerregenden Funde der Schriftrollen von Qumran. Sie gelten als eine der wichtigsten archäologischen Entdeckungen des 20.Jahrhunderts. Israel verfügt auch über das entsprechende Knowhow sowie die notwendigen Finanzen für aufwändige Suchaktionen und Ausgrabungen. Außerdem interessieren sich die Bürger Israels deutlich mehr für Archäologie als die Bewohner vieler anderer Länder.
Obwohl zahlreiche Forscher fest überzeugt davon waren, zwischenzeitlich fast alle potentiellen Verstecke untersucht zu haben, konnten im Frühjahr 2021 wieder bedeutende Funde aus zwei Höhlen am Toten Meer für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Im Nachal Chever, nahe der Oase En Gedi, entdeckten Forscher einen gut erhaltenen Korb mit rund 100 Litern Fassungsvermögen und Überreste eines sechs- bis zwölfjährigen Mädchens. Die gut erhaltene und mit Stoff bedeckte Mumie des Kindes wird auf etwa 6000 Jahre geschätzt; der Korb sogar auf 10 500 Jahre. Damit würde es sich um den ältesten je gefundenen Korb der Welt handeln. Münzen und Reste von Sandalen stammen aus der Zeit des Bar-Kochba-Aufstands 135 nach Christus. Außerdem konnte man Teile von rund 40 Skeletten aus derselben Zeit sicherstellen. Vermutlich hatten sich Aufständische an diesem abgelegenen Ort zumindest zeitweilig vor ihren römischen Verfolgern versteckt. Ob man die Leichen der gefundenen Personen hierher brachte oder ob sie hier gestorben waren, lässt sich momentan noch nicht sicher sagen. Hinweise auf einen längeren Aufenthalt von Menschen in der eher unwirtlichen Höhle gibt es allerdings nicht.
Der extrem schwer zugängliche Eingang der Höhle liegt mitten in einer Steilwand, 80 Meter unterhalb der Felsenspitze. Archäologen mussten sich vorsichtig von oben abseilen, um die Höhle erreichen zu können. Erste Untersuchungen im Rahmen einer groß angelegten archäologischen Initiative, die bereits seit 2017 läuft, wurden mit einer Drohne durchgeführt. Wahrscheinlich hatte gerade ihre Lage dazu beigetragen, dass der Inhalt der Höhle über Jahrtausende unberührt geblieben war. Im Rahmen der strategisch geplanten archäologischen Suchaktion der israelischen Antikenbehörde wurden bisher 400 Höhlen dieser abgelegenen Wüstengegend erforscht. An manchen Stellen konnten nur noch die Spuren von Räubern gefunden werden, die mit dem Verkauf der entdeckten Artefakte auf dem Schwarzmarkt ihr Geld verdienen. Durch den oft unsachgemäßen Umgang mit den Funden werden diese dabei nicht selten schwer beschädigt oder sogar zerstört.
Der für viele wahrscheinlich spannendste Fund dieser Höhle waren griechisch geschriebene Fragmente einer 2000 Jahre alten Schriftrolle mit einem Text aus dem alttestamentlichen Zwölfprophetenbuch. Bisher rekonstruiert werden konnte ein Abschnitt aus Sacharja 8, 16+17: „Das sind die Dinge, die ihr tun sollt: Sagt untereinander die Wahrheit! Fällt an euren Stadttoren Urteile, die der Wahrheit entsprechen und dem Frieden dienen. Plant in eurem Herzen nichts Böses gegen euren Nächsten und liebt keine verlogenen Schwüre!“ Aus weiteren Fragmenten haben die Forscher die Verse 5 und 6 des ersten Kapitels aus dem Buch des Propheten Nahum rekonstruiert.
Wieder einmal zeigen sich an diesem Fund die nachweisbaren historischen Bezüge zur biblischen Geschichte und die weite Verbreitung biblischer Texte in der damaligen Bevölkerung. Die erstaunliche Vertrauenswürdigkeit der Bibel in historischen Fragen spricht dabei auch für die Wahrheit ihrer religiösen Aussagen.
(von Michael Kotsch)