Soweit ich das beobachte, gibt es momentan wahrscheinlich keinen, der in Corona- Fragen wirklich den großen Überblick hat. Vielleicht ist das auch gar nicht möglich, weil sich in der Einordnung von Corona so viele verschiedene Aspekte miteinander mischen. Außerdem gibt es noch immer ausstehende wissenschaftliche Untersuchungen und auch sonst zahlreiche offene Fragen.
Trotzdem ergeben sich für mich momentan folgende, weiterführende Perspektiven.
- Themen von gesamtgesellschaftlichem Interesse werden heute durch die fast allgegenwärtigen Medien außerordentlich verstärkt, weshalb sie häufig schon bald einen unrealistisch ohne Stellenwert einnehmen. Durch die tägliche, dramatisch aufgemachte Berichterstattung entsteht ein Tunnelblick, der alle anderen relevanten Themen zurücktreten lässt und fast den Eindruck erweckt, es gäbe nur noch ein wirklich wichtiges Thema.
- Es gibt keine ideale Lösung einer Pandemie wie Corona. Obwohl Staaten und Länder gerade zu Beginn durchaus unterschiedliche Wege eingeschlagen hatten, scheint sich im Nachhinein keine wirklich ideale Lösung herauszukristallisieren. Zumeist geht es eher um die Verschiebung der Opfer. Die einen tendieren dazu, Menschen eher an Corona sterben zu lassen. Die anderen halten die Schäden der politisch gewollten Einschränkungen für weniger problematisch. Jeder hebt gerade die mutmaßlich negativen Auswirkungen der jeweils anderen Vorgehensweise hervor und relativiert die Opfer der eigenen „Lösungsansätze“. In der Politik, wo Entscheidungen von größerer Tragweite getroffen werden, finden erwartungsgemäß alle Aussagen und Maßnahmen ihre Kritiker
- Corona hat auch den offensichtlichen Egoismus verschiedener Interessengruppen wieder ganz deutlich gemacht. Die einen hoffen auf politisches Kapital durch große Angst, in der sie sich als erfolgreiche Krisen- Manager profilieren können. Andere hoffen auf gute Geschäfte mit der Angst vor Corona oder vor den Impfungen, oder mit den dann besonders gefragten Gütern und Dienstleistungen. Wieder andere instrumentalisieren jede Krise für ihre eigne Ideologie und sehen in ihrer schon immer vertretenden Lieblingsthese die Ursache oder Lösung für jede aktuelle Diskussion. Wenn von der Politik Entscheidungen gefordert werden, dann sollen sie möglichst nur andere betreffen, fast nie die eigne Gruppe: die Industrie, die Politik, die Alten, die Jungen, die Masken- Verweigerer usw. Hier geht es nicht mehr um eine realistische Suche nach Lösungen, sondern eher um die Identifizierung eines passenden Sündenbocks.
- Von allen Seiten werden Meldungen platziert, um Informationen und Angst für die eigene Weltdeutung zu instrumentalisieren. Den gesellschaftlichen Konkurrenten wird dann immer vorgeworfen, illegitime Ängste zu schüren. Gleichzeitig aber ist man bemüht, ebenfalls Ängste zu wecken, die den Hörer dazu bringen soll der eigenen Perspektive zuzustimmen.
- Es braucht immer eine unaufgeregte und nicht von vornherein schon festgelegte Prüfung aller relevanten Meldungen. Zumeist wird nur vor der vorgeblichen, manchmal auch echten Einseitigkeit der gegnerischen Positionen gewarnt. Die Positionen, zu denen man selbst tendiert werden dann aber weitgehend unkritisch aufgenommen und verbreitet. Gerade die Schwachpunkte der eigenen Einschätzungen zu erkennen ist zumeist aber die deutlich schwierigere Aufgabe.
- In Krisen, die manchmal auch schnelle und harte Entscheidungen fordern, haben demokratische Staaten offensichtlich einen deutlichen Nachteil gegenüber zentralistischen oder totalitären Ländern. In der Demokratie ist man immer auf die weitergehende Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung angewiesen, die vorher aber erst überzeugt werden will. Oft muss man Kompromisse schließen, weil jede Gruppe der Gesellschaft für den Schutz ihrer jeweiligen Interessen kämpft. Am Ende stehen oft halbherzige Entscheidungen, die dann immer wieder von den Entwicklungen der Realität überholt werden.
- Jetzt, wo Medien, Politiker und Bürger für Infektionen und Viren sensibilisiert sind, wäre es fast ein Wunder, wenn auch die öffentliche Diskussion gleichzeitig mit dem möglichen Ende der Corona- Pandemie vorbei wäre. Viel wahrscheinlicher werden schon bald neue Gefährdungen und neue Krankheitserreger in den Focus geraten, die es dann zu bekämpfen gilt. Das größere Thema der Gesundheitsbedrohung durch Viren wird Corona vermutlich deutlich überdauern. Gerade angesichts einer zunehmenden Verdiesseitigung wird die Angst vor einer potentiellen Bedrohung des irdischen Lebens allgemein zunehmen.
- Auch wenn irgendwann alle Corona überdrüssig geworden sind, wäre es ziemlich erstaunlich, wenn das Virus wieder vollkommen verschwinden würde. Wahrscheinlicher ist eine sukzessive Gewöhnung an einen weiteren Krankheitserreger, vielleicht auch eine Gewöhnung an öffentliche und private Einschränkungen, zumindest an die Macht des Staates, bei Bedarf das ganze gesellschaftliche Leben umzukrempeln. Einige werden von Corona sicher auch ein Trauma eigener Hilflosigkeit und Ohnmacht zurückbehalten.
- Christen sollten sich stärker abkoppeln von einer in Krisen schnell auftretenden Polarisierung. Wenn sie nicht vereinnahmt oder manipuliert werden wollen, müssen sie zur inneren Ruhe kommen und einen eigenen, christlichen Weg finden, losgelöst von allen politischen Kontrahenten. Es ist ziemlich bedenklich wie sehr Christen sich gerade angesichts eines an sich gar nicht geistlichen Themas ereifern und erhebliches, fast „missionarisches“ Engagement entwickeln. Auch gemeindliche Diskussionen scheinen zunehmend von gesellschaftlichen Trends beeinflusst zu werden. Dabei sind zusätzliche Spaltungen der an sich schon schwachen evangelikalen Landschaft in Deutschland alles andere als wünschenswert. Momentan allerdings scheint genau das passiert zu sein. Selbst bibeltreue Christen lassen sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Bewertung von Corona zunehmend auseinanderdividieren.
- Auch wenn Christen keine ideale Lösung der Corona- Pandemie anbieten können, gilt es, die Chancen nicht aus dem Blick verlieren, die Gott mit jeder Krise ermöglicht. Immer wieder in der Bibel und auch während der Kirchengeschichte schenkte Gott echte Umkehr und Erneuerung in Phasen gesellschaftlicher Krisen. Gerade wenn Christen dann nicht auf sich oder die Probleme geschaut hatten, sondern sich helfend den Menschen zuwandten, trug das gewöhnlich zu einer deutlich größeren Akzeptanz des Glaubens bei. Fast immer boten Krisen auch die Möglichkeit alte Traditionen neu zu überprüfen, schon lange notwendige Veränderungen in der Gemeinde einzuleiten, zwischen echten Nachfolgern und bloßen Mitläufern zu unterschieden oder verstärkt die innere Nähe zu Jesus zu suchen. Auch während Corona gab es schon einige hilfreiche geistliche und formale Erneuerungen und Innovationen.
- Gott hat natürlich auch weiterhin den totalen Überblick. Er tröstet, bewahrt und führt. Christen sollten auch angesichts von Corona und angesichts der ganz sicher darauf folgenden nächsten großen Krise Hoffnungsbringer und Orientierungsgeber sein. Christen haben sich in der Vergangenheit nicht immer als die besten Analytiker der Zeitprobleme herausgestellt. Wenn sie Gott und seinem Wort treu waren konnten sie allerdings in jeder Krise Menschen weiterhelfen und gerade auch in gesellschaftlich „dunklen Stunden“ das Reich Gottes bauen.
(von Michael Kotsch)