Neue Apostel?

Zu biblischen Zeiten gab es 12 Apostel, die von Jesus selbst berufenen Jünger. Heute gibt es tausende von Aposteln oder zumindest tausende von Menschen die sich für Apostel halten. Allerdings widersprechen sie sich untereinander häufig heftig. Mit den klaren Aussagen Jesu sind diese Apostel auch nicht immer einverstanden.

Die sogenannte „Neuen Apostolische Bewegung“ gehört überwiegend zur charismatischen Bewegung. So wie zwischenzeitlich zahlreiche charismatischen Christen meinen, in Zungen reden und heilen zu können, gibt es mittlerweile auch tausende von Apostel und Propheten. Nie zuvor in der Weltgeschichte traten so viele Personen mit dem Anspruch auf, „Apostel“ zu sein. Selbst in der frühen Christenheit gab es nur vergleichsweise wenige, von Jesus ausgewählte Apostel.

Auch bei religiösen Sondergruppen gibt es zwischenzeitlich zahlreiche Apostel. Allein bei der Neuapostolischen Kirche stehen 345 Apostel im Dienst. Allerdings lehren und praktizieren sie Dinge, die sich die biblischen Apostel nicht hätten träumen lassen; beispielsweise können sie sogar den Toten noch das Heil anbieten. Die katholisch-apostolischen Gemeinden stützen sich auf ihre 12 Apostel aus dem 19.Jahrhundert. Sie allein sollen die Vollmacht gehabt haben, rechtgültig Prediger einzusetzen und den Heiligen Geist zu vermitteln. Die Mormonen haben 12 lebende Apostel, die fest darauf bauen selbst einmal Gott zu werden.

Ivo Sasek, Gründer und Leiter der sogenannten „Organischen Christus- Generation“ (OCG) betrachtet sich als Apostel. In vorgeblich göttlicher Autorität ist er überzeugt, dass seine Bücher gleichrangig neben den Schriften der Bibel stünden, dass Handystrahlen der Gesundheit schaden, dass alle Menschen schlussendlich von Gott gerettet werden und dass Jesus die Reinkarnation gelehrt habe. Helmut Bauer, Gründer und Leiter der charismatischen „Wort + Geist“- Gemeinden, tritt ebenfalls als „Apostel Gottes“ auf. Systematisch wertet er aber gleichzeitig die Bibel zugunsten eigener Offenbarungen und Wundererlebnisse ab. Außerdem wird der Heilige Geist von ihm im Gegensatz zum Neuen Testament zu einer frei verfügbaren Kraft, durch die man mittels Positivem Denken seinen Alltag selbst magisch verändern kann. – Das sind jetzt nur einige Beispiele für tausende heute aktiver Apostel, die trotz ihres hohen geistlichen Anspruchs nicht wirklich auf den biblischen Jesus und seine Lehre hinweisen.

Nachdem es besonders in manchen christlichen Kreisen mittlerweile unzählige Heiler und Propheten gibt, bietet sich das Apostelamt zwischenzeitlich als etwas exklusivere Position an. Heutige Apostel sind zumeist freischaffende Künstler; die nur sich selber oder ihrem Fan- Kreis gegenüber verantwortlich sind. Die von ihnen eingeforderte Autorität überschreitet gewöhnlich die Grenzen einzelner Gemeinden. Auf Kritik von außen wird zumeist eher unwirsch reagieren. Ihre Aussagen sollen vorgeblich zuverlässige Gedanken Gottes sein. Mit anderen Aposteln kommen sie nur selten wirklich gut zurecht, weil der beiderseitige Machtanspruch zumeist schnell zu Konflikten führt.

Bei genauerer Betrachtung des christlichen Apostel- Booms geht es zumeist darum, dass theologische Leiter mit dem Anspruch des „Propheten“ oder „Apostel“ für ihre Zuhörer unhinterfragbar sind, selbst wenn sie in ihrer Lehre deutlich über die Bibel hinausgehen. Ohne dass ihre Zuhörer das überprüfen können, nehmen sie oft eine direkte Verbindung mit Gott für sich in Anspruch. Deshalb kann sie im Gemeindealltag natürlich auch niemand kritisieren oder Rechenschaft von ihnen fordern; weil solche Personen sich mit ihrer Kritik vorgeblich gegen Gott selbst stellen. Sehr schnell kommt es deshalb immer wieder zu verschiedenen Formen geistlichen Missbrauchs. Wie nicht anders zu erwarten widersprechen sich diese vielen Apostel mit ihren unterschiedlichen Lehren und Vorstellungen natürlich häufig. Alle aber nehmen für sich die Autorität Gottes in Anspruch und betrachten sich faktisch als unhinterfragbar; auch wenn sie formal gesehen eine Beschwerdemöglichkeit nicht generell ablehnen.

Dieses inflationäre Auftreten von „Propheten“ und „Aposteln“ wird in der Bibel als deutliches Zeichen der Endzeit genannt (z.B. Mt 24; Offb 2, 2). Rein von der Wortbedeutung her kann man das griechische „Apostel“ (αποστολος) einfach als „ein Gesandter“ oder „ein Bote“ übersetzen (2Kor 8,23, Phil 2,25, Joh 13,16). Gemeint sein kann damit dann der Abgesandte irgendeines Herrn. – In der Bibel wird Jesus als „Apostel“ bezeichnet, als zuverlässiger Bote Gottes auf Erden, der seinerseits wieder Boten aussendet, um das Evangelium der Gnade weltweit zu verbreiten: „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt.“ (Joh 17, 18; vgl. Hebr 3, 1).

Zuerst beauftragte Jesus die von ihm persönlich berufenen zwölf Apostel, „damit sie bei ihm seien und damit er sie aussende zu predigen und Gewalt zu haben, die Dämonen auszutreiben“ (Mk 3, 14.15) Die Namen der Betreffenden werden gleich mehrfach in den Evangelien genannt (Mt 10, 2-4; Mk 3, 16-19; Lk 6, 14-16; vgl. Apg 1, 13). Wo die Apostel Jesu auftraten und predigten taten sie das in der Autorität ihres Auftraggebers, weshalb sie auch Dämonen austreiben und Kranke heilen konnten (Mt 10, 5-15).

Später sind die Apostel glaubwürdige Augenzeugen des Lebens Jesu, die weltweit verbreiten sollten, was sie erlebt und gehört hatten (Lk 24, 46-49). Im Auftrag Gottes legten sie die Grundlagen der neutestamentlichen Gemeinde und hatten zu ihrer Zeit tatsächlich eine überregionale Autorität (Eph 4, 8-11). Die Apostel waren tätig „zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes des Christus“, ist in diesem Zusammenhang zu lesen. Nach dem Tod von Judas Iskariot wurde Matthias, ein früher Jünger, an seiner Stelle zum Apostel ausgewählt. In diesem Zusammenhang wird noch einmal deutlich erwähnt, dass ein Apostel Jesu Zeuge seines Lebens und seiner Auferstehung sein müsse (Apg 1, 21f.; 1Kor 9, 1). Ihre Zahl war prinzipiell auf zwölf begrenzt (Off 21, 14). Lediglich Paulus hatte einen Sonderstatus unter den Aposteln. Zuverlässige Zeugen aus der Kirchengeschichte berichten von den ausgedehnten Missionsaktivitäten aller zwölf Apostel Jesu, von denen allerdings nur die Reisen des Petrus und des Paulus in der Bibel wiedergegeben werden.

Die katholische und die orthodoxe Kirche haben die Autorität der Apostel auf ihre eigenen Leiter übertragen: Bischof, Papst, Patriarch usw. Deshalb wird die Gesamtleitung der römischen Kirche  bis heute konsequenterweise auch „apostolischer Stuhl“ genannt. Ebenso verfuhren manche religiösen Sondergruppen wie die Mormonen oder die Neuapostolische Kirche. Neutestamentliche Aufzählungen in denen auch das Amt des Apostels erwähnt wird, beziehen sich natürlich auf die damals noch lebenden und lehrenden Apostel. In der Auflistung der Gemeindeämter in den Pastoralbriefen kommen Apostel deshalb auch nicht mehr vor, sondern nur Älteste, Diakone und weibliche Mitarbeiter, sogenannte „wahre Witwen“ (1Tim 3, 1-13; 5, 3-16). – Besonders bevollmächtigte Augenzeugen des Lebens und der Auferstehung Jesu konnte es aus naheliegenden Gründen in späteren Jahren auch nicht mehr geben, weshalb sich das Apostelamt in der Bibel ausschließlich auf die erste Zeit der Gemeinde bezieht.

Die Position als „Apostel“ verspricht jedenfalls hohes Ansehen und große Autorität. Kein heutiger Apostel aber muss sich in einer konkreten Gemeinde bewähren oder rechtfertigen. Für Älteste und Diakone werden in der Bibel strenge Kriterien genannt, die viele Christen kaum erfüllen können. Apostel hingegen brauchen heute gar keine besondere biblische Qualifikation. Das klingt äußerst einfach und attraktiv, wenn man einmal darüber hinwegsieht, dass Apostel persönliche Zeugen des irdischen Lebens Jesu sein sollten. Zumeist erheben sich heutige Apostel selbst in ihr Amt, bzw. sie sagen Gott habe sie berufen. Da das aber nicht zufriedenstellend überprüft werden kann, ist es weit eher der eigene Wunsch oder Wille, der hinter einer solchen Ernennung steht. Die neutestamentlichen Apostel wurden unter vielen Zeugen direkt von Jesus bestimmt. Auch an sie wurde ein hoher moralischer und geistlicher Maßstab angelegt.

Es ist heute eben auch herrlich einfach „Apostel“ zu werden, zumindest, wenn man das nur behaupten und nicht belegen muss. Für einen echten theologischen Doktortitel muss man lange Jahre nachweisbar lernen und zahlreiche Prüfungen bestehen. Als Pastor braucht man die Anerkennung des entsprechenden Kirchenbundes und der konkreten örtlichen Gemeinde, als Ältester soll man geistlich und ethisch vorbildlich leben. Für den heutigen Apostel ist in vielen Fällen nichts von alledem zwingend erforderlich.

Viele Apostel- begeisterte Christen meinen einem ganz besonderen, vorgeblich geisterfüllten Menschen zu folgen. Dabei vergessen sie gerne, dass hunderte heute lebender Apostel offen bibelferne Lehren vertreten, wie in der Neuapostolischen Kirche oder bei den Mormonen. Die immer wieder groß angekündigte, „nahe bevorstehende“ Erweckung in der Endzeit, die durch entsprechende Apostel vorbereitet werden müsse, hat demnach schon vor 150 Jahren begonnen; denn schon damals kam es schwer in Mode sich zum Apostel zu machen.

Ganz offensichtlich braucht es wieder neu eine Sehnsucht nach Heiligkeit, nach einem gottorientierten Leben, einen Geist der Demut und Sündenerkenntnis. Stattdessen wird die Christenheit momentan von zahllosen Propheten, Heilern und Aposteln überrannt, die manchmal nur allzu deutlich sich selbst und ihr eigenes Ansehen im Blick haben, das sie mit starken geistlichen Worten zu fördern hoffen.

„Denn solche sind falsche Apostel, betrügerische Arbeiter und verstellen sich als Apostel Christi. Und das ist auch kein Wunder; denn er selbst, der Satan, verstellt sich als Engel des Lichts. Darum ist es nichts Großes, wenn sich auch seine Diener verstellen als Diener der Gerechtigkeit; deren Ende wird sein nach ihren Werken.“ (2.Korinther 11, 13-15)

(von Michael Kotsch)