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Flache Erde!? (3): Die Enden der Erde

An einigen wenigen Stellen der Bibel ist von den „Enden der Erde“ die Rede. Anhänger der Idee einer „flachen Erde“ argumentieren, dass ein runder Planet kein reales Ende haben könne. Folglich würde hier zweifelsfrei gelehrt, die Welt sei flach und habe fest definierbare Endpunkte.

Von den „Enden der Erde“ wird beispielsweise in Jesaja 11, 12 gesprochen. An dieser Stelle geht es um die prophetische Zusage Gottes, den Überrest seines Volkes am Ende der Zeiten wieder in dem von ihm versprochen Land zusammenzubringen. Beispielhaft werden dann einige Länder des Nahen Ostens aufgezählt, neben nicht näher definierte Inseln. Dann sagt Gott: Ich werde „die Zerstreuten Judas sammeln von den vier Enden der Erde.“ Der an dieser Stelle mit „Enden“ übersetzte hebräische Begriff ist ףנכ (kanaph). Je nach dem entsprechenden Zusammenhang wird das Wort auch als „Zipfel eines Kleidungsstücks“, als „Rand eines Geländes“, als „Flügel“ bzw. „Ende des Gefieders“ oder als „Decke“ wiedergegeben (2Mo 25, 20; 3Mo 1, 17; 4Mo 15, 38; 5Mo 27, 20; 1Sam 24, 5; Hes 7, 2).

Mit „Ende der Erde“ oder „Rand der Erde“ wird ףנכ auch in Hiob 37, 3; 39, 13 und in Jesaja 24, 16 übersetzt. Alle diese Verse beziehen sich auf den letzten Winkel der bewohnten Erde. Die Zipfel oder Enden eines Landstrichs oder Kontinents werden hier angesprochen, nicht das mutmaßliche Ende des Planeten Erde. Wenn in Jesaja 11, 12 dann von vier „Enden der Erde“ gesprochen wird, kann das schwerlich im buchstäblichen Sinne gemeint sein. Auch eine flache Erde hätte nämlich nicht nur vier, sondern unendlich viele Enden. In jeder beliebigen Richtung in die man sich wendet müsste irgendwann ein Ende erreicht werden, nicht nur in den Haupthimmelsrichtungen Nord, Süd, Ost und West. Das hebräische Wort ףנכ lässt sich am zutreffendsten mit „weit entfernt“, „am Rande eines Landstücks oder Kleidungsstücks liegend“ oder mit „von überall her“ übersetzten. An keiner der betreffenden Bibelstellen wird der Aufbau oder die Konstruktion der Welt, bzw. des Universums beschrieben. In den biblischen Berichten von der Schöpfung findet dieser Begriff hingegen keinen Gebrauch.

Wollten die biblischen Autoren wirklich eine geometrische Ecke oder einen konkreten geographischen Ort als „Ende der Erde“ bezeichnen, dann hätten sie einen der viel eindeutigeren und passenderen hebräischen Begriffe wie ויאפ (Paioh),  ויויז (Zioyyoh) oder תומפ (Paamoth) gewählt.

In Offenbarung 7, 1 und 20, 8 ist noch einmal von den vier „Enden der Erde“ die Rede. Im Anschluss an das Tausendjährige Reich wird Satan „ausziehen, um die Völker an den vier Enden der Erde zu verführen“, heißt es da. Genannt werden dann Gog und Magog, die nicht sehr weit von Israel entfernt liegen. Der jüdische Historiker Flavius Josephus war davon überzeugt, dass damit die Skythen gemeint wären. Im Mittelalter wurde Gog und Magog vor allem mit Skandinavien in Verbindung gebracht.  Der hier mit „Ende“ der Erde übersetzte griechische Begriff ist γωνία (gonia) und kommt 9-mal im Neuen Testament vor.

In seinem jeweiligen Zusammenhang wird dieser Begriff als „Winkel“ (Apg 26, 26), „Ecke“ eines Hauses oder Zimmers (Mt 6, 5), bzw. als „Eckstein“ eines Gebäudes (Mt 21, 42; Apg 4, 11) übersetzt. An keiner dieser Bibelstellen wird ausgesagt, dass es hinter dieser Ecke, diesem Ende eines Raumes nicht auch noch weitergehen könnte. γωνία wird nicht so sehr zur Beschreibung eines absoluten Raumes benutzt oder zum Anzeigen eines absoluten Endes, sondern weit mehr zur Hervorhebung des Umfangs eines Raumes. Der in der Offenbarung angesprochene Raum ist der bewohnte Erdboden, nicht die Erde als geographische Gesamtheit der irdischen Schöpfung. Das hier mit „Erde“ übersetzte griechische Wort ist γῆ (gä). Dieser insgesamt 223-mal im Neuen Testament benutzte Begriff bezeichnetet eine Region (Mt 2, 6; 2, 20), weit entfernte Länder (Mt 12, 42), die menschliche Zivilisation (Mt 5, 13; 9, 6), den Erdboden (Mt 10, 29; 13, 5) oder die ganze irdische Schöpfung (Mt 5, 18; 11, 25). Am häufigsten ist mit γῆ der materielle Erdboden oder ein konkretes Land gemeint.

An den Ecken bzw. Enden des in Offenbarung 20, 8 genannten Erdbodens / Landes stehen bzw. wohnen Menschen. Weder das Meer noch der Luftraum oder unterirdische Orte werden an dieser Stelle angesprochen, obwohl auch sie natürlich zur Schöpfung Gottes gehören und prinzipiell über den eigentlichen Erdboden hinausgehen können. Die in der Offenbarung genannten vier „Ecken / Enden der Erde“ bezeichnen keinen rein geographischen Ort, sondern umfassen die Gesamtheit des bewohnten Erdbodens.

Bis heute spricht man übrigens vollkommen unproblematisch von den vier Himmelsrichtungen, stellvertretend für die Gesamtheit der Erdoberfläche. Niemand betrachtet die „vier Himmelsrichtungen“ deshalb als unvereinbar mit einem runden Planten. Wer heute vom „Ende der Erde“ spricht, meint damit entweder deren zeitliche Begrenzung oder einen besonders abgeschiedenen Ort.

Wenn man zur Zeit des Neuen Testaments von den „vier Enden der Erde“ sprach meinte man damit die Gesamtheit aller bewohnten Landstriche. Ungebräuchlich war diese Bezeichnung als geologische Beschreibung der gesamten Schöpfung, einschließlich des Himmels, der Meere usw.

Wenn beispielsweise in Psalm 59, 4 davon die Rede ist, dass Gottes Herrschaft bis an die „Enden der Erde“ geht, dann ist damit lediglich gemeint, dass Gottes Macht alles umfasst (ähnlich Jes 49, 6; Jer 16, 19). Es soll an dieser Stelle keine geologische Aussage über den Aufbau der Welt gemacht werden. Primär wird mit der betreffenden Formulierung lediglich die Gesamtheit des menschlichen Lebensraums beschrieben.

(von Michael Kotsch)

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