Zur Stützung ihrer Theorien ziehen Anhänger einer „flachen Erde“ immer wieder Aussagen der Bibel heran. Beispielsweise wird dann darauf verwiesen, dass in der Bibel nirgends von dem Erdball, wohl aber von dem Erdkreis gesprochen wird.
Etwas, dass nicht in der Bibel genannt ist, muss deshalb aus christlicher Sicht aber auch nicht unbedingt abgelehnt werden. Beispielsweise finden wir im Wort Gottes keine Angaben zu Tropfsteinhöhlen oder unterirdischen Gasblasen. Daraus darf aber nicht notwendigerweise geschlossen werden, dass diese gut dokumentierten Orte in der Bibel generell geleugnet würden.
Die meisten der in diesem Zusammenhang zitierten Bibelstellen stammen zudem aus poetischen Texten, die häufig mit Bildern arbeiten. In diesen Büchern spricht die Weisheit, obwohl sie natürlich keine Person im eigentlichen Sinne ist; Berge hüpfen und loben Gott, obwohl diese gewöhnlich nicht sprechen können; Jesus wird als „Stern“ bezeichnet, obwohl er kein lebloser Himmelskörper ist usw.
Als „Erdkreis“ wird in der Bibel manchmal auch einfach die ganze bewohnte Erde bezeichnet unabhängig davon, welche Form sie hat. Bis heute wird sowohl in den biblischen Sprachen als auch im Deutschen der Begriff „Kreis“ oft in übertragener Weise benutzt. So spricht man beispielsweise vom „Kreis der Familie“ oder dem „Kreis der Verschwörer“ ohne damit auszudrücken, dass diese in einem geometrischen Kreis stehen müssen. Man meint mit dieser Formulierung einfach, dass die betreffenden Personen eng miteinander zu tun haben.
In Offenbarung 12, 9 findet sich eine Warnung vor dem Teufel, der versucht „den ganzen Erdkreis“ zu verführen. Betroffen davon sind aber weder die Berge noch die Tiere, sondern, die auf der Erde wohnenden Menschen. Mit „Erdkreis“ wird an dieser und anderen Bibelstellen nichts über die geometrische Gestalt der Erde sondern über die Menschheit gesagt (vgl. Ps 98, 9; Apg 17, 31; Offb 3, 10). Im Rahmen der Geburtsgeschichte Jesu (Lk 2, 1) wird berichtet, dass „der ganze Erdkreis“ sich auf einer Steuerliste eintragen lassen sollte. Gemeint sind hier offensichtlich die Bürger einer bestimmten Region des Römischen Reiches. In Apostelgeschichte 19, 27 wird davon gesprochen, dass der „ganze Erdkreis“ die Göttin Diana verehre. Damit ist aber weder der Erdboden gemeint, noch die Gesamtheit aller Menschen, sondern der Großteil der Bürger des Römischen Reiches. Manchmal ist auch nur die belebte Natur oder das Land Israel gemeint, wenn vom „Erdkreis“ gesprochen wird (vgl. Jes 24, 4). Andernorts kann die Menge der gottlosen Menschen mit „Erdkreis“ bezeichnet werden (vgl. Jes 13, 11). „Erdkreis“ wird dann der Herrschaftsbereich des babylonischen Königs genannt (vgl. Jes 14, 17). Der Begriff „Erdkreis“ wird also in der Bibel in sehr unterschiedlichem Zusammenhang und mit unterschiedlicher Bedeutung benutzt. Das Wort kann den Erdboden, die Kontinente, die ganze Erde, einen Herrschaftsbereich, bestimmte Menschengruppen oder die Gesamtheit aller Menschen bezeichnen. In keiner Bibelstelle wird konkret von der Kreisform der Erde gesprochen.
Kaum ein Anhänger der „flachen Erde“ meint der Erdboden sei geometrisch wirklich ein Kreis. Eine solche Behauptung ließe sich eben auch zu einfach widerlegen, beispielsweise indem man die Küsten mit einem Flugzeug abfliegt oder mit einem Schiff entlangfährt. Daraus kann geschlossen werden, dass die Bibel immer wieder von einem „Erdkreis“ spricht ohne auch wirklich einen geometrischen Kreis zu meinen.
Die Beschreibung als „Erdkreis“ widerspricht nicht zwangsläufig der Realität einer Erdkugel. Wenn man eine Kugel von irgendeiner Seite aus betrachtet und fotografiert wirkt der Ball auf dem Bild wie ein Kreis, weil ein Foto die Dreidimensionalität der Kugel eben nicht immer deutlich erkennen lässt. Deshalb wäre die biblische Beschreibung einer kugelförmigen Erde als Kreis optisch gesehen durchaus zulässig, als subjektiver Eindruck des Beobachters.
Selbst wenn man die biblische Beschreibung der Erde, genauer gesagt des trockenen Erdbodens, als buchstäblichen geologischen Kreis verstehen will, muss das der Kugelgestalt des Planeten Erde nicht zwangsläufig widersprechen. Ohne Probleme wäre es nämlich auch möglich, auf einem Ball einen runden Kreis als „Erdboden“ zu markieren. Viele Spielbälle haben sogar zur Dekoration runde Kreise an ihrer Oberfläche. Auf einer kugelförmigen Erde wäre ein kreisförmiger Kontinent also durchaus denkbar. Die Kreisbeschreibung des Erdbodens muss also selbst in diesem Fall einer Kugelform des Planeten nicht widersprechen. – In diesem Zusammenhang sollte aber nicht vergessen werden, dass bisher weder bei den einzelnen Kontinenten, noch bei der gesamten Erde je eine platte Kreisform wirklich glaubhaft gemacht werden konnte.
Noch unpassender wird das Argument vom „Erdkreis“ für eine mutmaßlich flache Erde, wenn man bedenkt, dass die entsprechenden Worte im Hebräischen und Griechischen nichts mit einem Kreis und auch nichts mit der geologischen Beschaffenheit der Erde zu tun haben. Im Alten Testament wird „Erdkreis“ durch das hebräische Wort לבֵתֵּ (tebel) ausgedrückt. Abgesehen von „Erdkreis“ kann es auch einfach als „Erde“, „Welt“ oder „bewohnter Teil der Erde“ übersetzt werden. Über die Form der Erde sagt das entsprechende Wort nichts aus. In der Elberfelder Bibelübersetzung wird das betreffende hebräische Wort deshalb häufig auch mit „bewohnter Teil der Erde“ (Spr 8, 31) oder mit „Bewohner des Erdkreises“ (Jes 18, 3; 26, 9; Klgl 4, 12) wiedergegeben.
Im Neuen Testament wird zumeist der griechische Begriff οἰκουμένη (oikumene) mit „Erdkreis übersetzt. οἶκος war im antiken Griechenland die Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft oder ein Bauernhof. οἰκέω (oikeó) wird am besten mit „wohnen“ oder „bewohnen“ übersetzt. οἰκουμένη wurde dementsprechend der zivilisierte, bzw. bewohnte Teil der Erde bezeichnet. Der deutsche Begriff „Erdkreis“ leitet sich wahrscheinlich vom Lateinischen ab, das im Mittelalter zu Normalsprache der katholischen Kirche wurde. Orbis terrae lässt sich wörtlich mit „Kreis der Erde“ übersetzen und bezeichnete eigentlich eine Hecke, Umzäunung oder einen kleinen Wall um das bewirtschaftete Gelände eines Anwesens. Mit einem geometrischen Kreis haben beide Begriffe jedenfalls nichts zu tun, wie die Anhänger der flachen Erde glauben machen wollen.
Zusammenfassend muss man festhalten, dass die Bibel nur wenige detaillierte Angaben zu Form und zum geologischen Aufbau der Erde macht. Zumeist geht es darum, dass Gott die Erde und das ganze Universum geschaffen hat und auch weiterhin regiert. Christen sollten sich auf das konzentrieren, was Gott ihnen vertrauenswürdig mitgeteilt hat und auf gefährliche Spekulationen verzichten; vor allem, wenn sich diese nur auf sehr zweifelhafte Interpretationen und spekulative Deutungen stützen.
„Gott hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat und den er für alle beglaubigte, indem er ihn aus den Toten auferweckt hat.“ (Apostelgeschichte 17, 31)
(von Michael Kotsch)