Im Zusammenhang mit dem Krieg in Gaza ist immer wieder der Vorwurf des Völkermords zu hören. Wegen des massiven Vorgehens seiner Armee und den zahlreichen zivilen Opfern wurde Israel nun von der südafrikanischen Regierung vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen des Verdachts auf Völkermord angeklagt. Natürlich sollte jedem Beobachter klar sein, dass eine Anklage Israels noch keine Verurteilung ist. Bisher geht es vor allem um ein politisches Statement des südafrikanischen ANC.
Hinter dem aktuellen Antrag stehen politische Sympathisanten der Hamas. Die südafrikanische Regierung interpretiert den Kampf gegen die Hamas als Parallele zur Apartheit im eigenen Land. Die eingereichte Klage verwundert nicht nur wegen ihrer nur schwer nachvollziehbaren Logik. Gerade der seit Jahren in Südafrika regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) hat seinerseits eine Spur von Korruption und Unterdrückung hinterlassen. In den vergangenen zwanzig Jahren hat er nur wenig gegen die massive Diskriminierung von Afrikanern anderer Staaten in Südafrika unternommen. Seltsam auch, dass die türkische Regierung sich eindeutig hinter die Anklage Israels stellt, obwohl alleine die Erwähnung des in der Türkei begangenen Völkermords an den Armeniern dort mit Gefängnis bestraft wird.
Seit der systematischen Ermordung der Armenier in der Türkei, dem Massenmord an den Juden in Deutschland und dem Kampf zwischen Hutus und Tutsis in Ruanda wird in politischen Konflikten immer wieder von „Völkermord“ gesprochen. Vor allem geht es dabei um das moralische Rechthaben in der Weltöffentlichkeit. Wem das undenkbare Verbrechen eines Völkermords unterstellt wird, der ist international weitgehend isoliert und ganz pauschal schuldig an jeder Gewalt im eigenen Umfeld. Beim Vorwurf eines Völkermords geht es deshalb nicht nur um die Klärung historischer Ereignisse oder um die leidenden Menschen, sondern immer auch um die Erreichung politischer Ziele.
Weil der Begriff „Völkermord“ in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zur Bezeichnung schwerer militärischer Konflikte benutzt wurde, hat er sich zwischenzeitlich abgenutzt, ist unscharf geworden. Oft geht es heute eher darum, dass die Zivilbevölkerung in einem militärischen Konflikt übermäßig leidet und nicht mehr um einen wirklichen „Völkermord“. Diese Entwicklung ist durchaus problematisch, weil sie das schreckliche Verbrechen eines Völkermords immer stärker nivelliert. Bei der ursprünglichen Bedeutung des „Völkermords“ geht es um die systematische und vorsätzliche Tötung einer ganzen Bevölkerungsgruppe aus religiösen, ethnischen oder politischen Gründen. Davon kann bei dem aktuellen Gaza- Krieg bisher allerdings nicht die Rede sein; trotz der erschreckend großen Zahl ziviler Opfer.
Momentan gilt es als eher unwahrscheinlich, dass die Regierung Israels schlussendlich wegen Völkermord an den Palästinensern verurteilt wird. Juristisch aussichtsreicher sind wohl eher Anklagen wegen möglicher Kriegsverbrechen der israelischen Armee. Dabei müsste geklärt werden, ob viele Übergriffe und die Zerstörung nichtmilitärischer Gebäude wirklich notwendig waren, ob man Zivilisten nicht hätte besser schützen müssen. Solch ein Prozess würde höchstwahrscheinlich auch einige Fälle von eklatantem Fehlverhalten aufdecken. Das gleiche gilt allerdings auch für jeden Militäreinsatz anderer Staaten überall auf der Welt; wenn man ihn nur genau genug untersucht. Einen menschenfreundlichen Krieg, der immer nur die Bewaffneten oder besser noch die Schuldigen betrifft, gibt es bei größeren Auseinandersetzungen eben nicht.
Anhänger von Hamas und Hisbollah sollten sich nicht zu früh wegen der Anklage gegen Israel freuen oder sich gar moralisch überlegen fühlen. Über die jahrelangen menschenverachtenden Anschläge dieser Gruppen besteht in der internationalen Rechtsprechung nämlich kaum Diskussionsbedarf. Einhellig werden die Terroranschläge von Hamas und Hisbollah als strafbare Verbrechen und unentschuldbare Grausamkeiten verurteilt. Im Gegensatz zur israelischen Politik besteht auch kein Zweifel daran, dass Hamas- Führer einen Völkermord aktiv planen und schon umgesetzt hätten, wenn ihnen dazu nicht die Mittel fehlen würden. Die Hamas macht nämlich kein Geheimnis daraus, dass sie alle Juden im Nahen Osten töten und vertreiben will. Das allerdings ist ganz unstrittig ein Völkermord, wenn bisher auch nur ein beabsichtigter.
Es ist ziemlich sarkastisch, wenn Hamas und Hisbollah, das selbst geplante Verbrechen des Völkermords ihren politischen Gegnern vorwirft. Von Hamas und Hisbollah werden alle gefeiert und reich entlohnt, die einen Juden ermordet haben, ganz gleich ob es sich dabei um Soldaten oder Zivilisten handelt, um Kinder oder Frauen. Es klingt ziemlich zynisch, dass sich eine Terrororganisation, die bei ihren eigenen Anschlägen keinerlei Menschenrechte beachtet, deren strenge Einhaltung fordert, wenn sie in die Defensive gerät.
Würde Israel tatsächlich einen Völkermord planen, dann hätten es bereits seit Jahrzehnten die im eigenen Land lebenden Palästinenser töten können oder die in dem von ihnen kontrollieren Westjordanland. Die in Israel lebenden Palästinenser aber verfügen über dieselben Reche wie jüdische Staatsbürger und schicken von ihnen gewählte Politiker ins nationale Parlament.
Bei der aktuellen Diskussion um den vorgeblich von Israel begangenen Völkermord sollte nicht übersehen werden, dass ein palästinensisches Volk eigentlich gar nicht existiert. Es gibt weder eine palästinensische Kultur, noch einen palästinensische Sprache oder Geschichte. Nie gab es einen palästinensischen Staat. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs definierten sich die heutigen Palästinenser als Araber und Bürger des osmanischen Reiches. Ihre Vorfahren kamen aus der Türkei, aus Syrien, dem Libanon, Jordanien und Ägypten. Als Bewohner Palästinas bezeichneten sich im 19.Jahrhudnert nicht die in der Region lebenden Araber, sondern die Juden. Erst vor dem Hintergrund der Terroranschläge der PLO seit den 1970er Jahren begannen sich die vorher in Teilen des heutigen Israel lebenden Araber „Palästinenser“ zu nennen. Wenn es kein wirklich palästinensisches Volk gibt, schon gar keines, das speziell an den Gaza- Streifen gebunden wäre, dann ist es natürlich ziemlich problematisch von einem Völkermord zu sprechen.
Die Zahl der Toten im Gaza- Krieg ist mit über 20 000 viel zu hoch. Auch das Zerstörungspotential israelischer Angriffe ist erheblich. Natürlich kann derzeit niemand genau sagen, ob eine andere Vorgehensweise gegen den Hamas- Terror zu weniger Opfern geführt hätte. Jede Armee der Welt weiß, dass Kämpfe in einer dicht besiedelten Umgebung immer mit zahlreichen zivilen Opfern verbunden sind. Trotzdem sollte man sich nicht einfach mit einer so hohen Zahl getöteter Palästinenser abfinden. Hier leiden hunderttausende Menschen, die nicht unmittelbar mit den Terroranschlägen der Hamas zu tun haben. Außerdem wird es erhebliche Anstrengungen brauchen, damit die momentanen Kämpfe den Hass gegen Israel nicht weiter steigern und in wenigen Jahren eine neue Generation gewaltbereiter Terroristen hervorbringen.
In jedem Fall braucht es ein baldiges Ende der Kämpfe und einen größtmöglichen Schutz der zivilen Bevölkerung in Gaza. Mindestens ebenso notwendig ist eine langfristige Perspektive für Palästinenser, jenseits von Hamas, PLO, Terror und Hass. Viel zu lange waren Palästinenser schon Spielball verschiedener politischen und religiöser Interessen arabischer und auch anderer Staaten.
Eine bisher noch nie wirklich erfolgversprechend gelöste Aufgabe besteht zukünftig darin, Palästinensern endlich eine praktikable Lebensperspektive zu geben, außerhalb ihrer Hoffnung Israel irgendwann zerstören zu können. Bisherige palästinensische Führer waren zum großen Nachteil ihrer Bevölkerung dazu leider nicht in der Lage.
(von Michael Kotsch)