Engel haben wieder einmal Konjunktur. Längst schon dienen sie nicht mehr nur zur Dekoration. Engel gehören für viele Menschen zwischenzeitlich zu einer zeitgemäßen Spiritualität. Sie werden als Gottesboten, Schutzgeber und persönliche Berater gehandelt. Für manche Menschen haben Engel eine geradezu gottähnliche Funktion. Auch christliche Prediger zeigen sich zunehmend begeistert von Engeln und versuchen mit ihnen in Verbindung zu treten.
Die in der Bibel beschriebenen Engel haben allerdings nur wenig mit denen zu tun, deren Kontakt und Hilfe beispielsweise Reinhard Hirtler bewirbt. Seine Konzeption orientiert sich eher an verbreiteter Volksreligiosität und magischen Vorstellungen der Esoterik. In manchen katholischen Kreisen blüht die Vorstellung persönlicher Schutzengel, die speziell über die eigenen Kinder wachen. Katholische Familien hatten deshalb schon immer gerne Bilder von Schutzengeln über den Betten ihrer Kleinkinder hängen. In der Esoterik sind Engel, ähnlich wie Elfen und Feen, übernatürliche Wesen, die man mit den richtigen Worten oder dem passenden System für die eigenen Zwecke einspannen kann.
In der Bibel lesen wir dazu die weithin bekannte Aussage: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ (Ps 91, 11f.) Zum einen sollte aber nicht vergessen werden, dass es sich hier um einen poetischen und nicht um einen historischen oder lehrmäßigen Text handelt. In den Psalmen hüpfen Berge, um Gott zu loben und werden Kinder als Pfeile im Köcher des Vaters beschrieben. Es kann sehr problematisch sein, wenn man eine poetische Beschreibung unmittelbar auf seine eigene, heutige Wirklichkeit überträgt. Das weitaus größere Problem besteht allerdings darin, dass manche Menschen diesen Bibelvers unmittelbar auf sich selbst beziehen, einfach weil er gut klingt. Dabei steht hier nicht, dass Gott jeden Menschen durch Engel bewachen lässt. Wenn das wahr wäre, dann dürfte ja keinem Menschen mehr irgendetwas Unangenehmes passieren. – Durch das entsprechende Zitat dieses Verses im Neuen Testament wird deutlich, dass es sich hier um eine spezielle Ansage für den von Gott gesandten Messias, also für Jesus handelt (vgl. Lk 4, 10f.).
Wie in der charismatischen Bewegung üblich, überbietet man sich auch bezüglich der Engel wieder einmal mit Versprechungen des unendlichen göttlichen Segens, der vorgeblich nur für mich reserviert ist. Das soll dann auch für alle halbherzigen Christen gelten, wenn sie nur Mitglied in der richtigen Gemeinde sind und fest genug daran glauben. Alle biblischen Mahnungen, Warnungen und Ankündigungen von künftigem Leiden übersieht man leichtfertig und konzentriert sich nur auch die Bibelverse, die Positives versprechen. Dabei spielt es kaum mehr eine Rolle, ob diese Zusagen sich überhaupt an jeden heute lebenden Christen wenden oder nicht. Im Grunde geht es auch nicht so sehr darum, Gottes Aussagen besser zu verstehen und auf das eigene Leben anzuwenden. Stattdessen will man Gott für die eigenen Ziele und das selbstentworfene, glückliche Leben einzuspannen.
Engel sind in der Bibel Boten Gottes. Auf die gesamte Weltgeschichte und das Leben aller Menschen bezogen, erscheinen Engel höchst selten. Niemand, auch nicht der größte Glaubensheld der Bibel, hatte einen dauerhaften Kontakt zu Engeln. Den meisten in der Bibel beschriebenen Menschen sind nie in ihrem Leben Engel erschienen. Oft treten Engel im Wort Gottes reichlich unspektakulär auf, ohne dass man sie überhaupt als solche erkennt. Vielfach hält man sie für normale Männer (1Mose 18, 1-15; Hbr 13, 12). Wenn Gott mit seinem Geist bei einem Menschen ist, dann ist der übrigens weit besser geschützt als durch einen Engel. Im Grunde können diese himmlischen Boten nämlich nichts anderes als das zu tun, was ihnen von Gott aufgetragen wurde.
Schon zur Zeit der ersten Christen gab es die eher esoterische ausgerichtete Gruppe der Gnostiker, die sich in den Gemeinden als ganz besonders geisterfüllt aufgespielt hatten. Um vor dem problematischen Einfluss dieser Leute zu schützen, wird in der Bibel offen davor gewarnt, Engel zu verehren oder sich überhaupt viel mit ihnen zu beschäftigen. „Lasst euch durch niemand von Jesus abbringen, durch keinen, der sich in Demutsübungen gefällt und Engel verehrt und das mit Visionen begründet, die er gesehen haben will. Solche Menschen haben eine ungeistliche Gesinnung und sind ganz ohne Grund stolz und aufgeblasen.“ (Kol 2, 18) Es wird dann noch darauf verwiesen, dass Dämonen und sogar der Satan gerne mit dem Aussehen eines Engels auftreten, um Christen leichter verführen zu können. „Auch der Satan tarnt sich ja als Engel des Lichts.“ (2Kor 11, 14).
Außerdem werden Christen aufgefordert, scheinbar fromme Engel gründlich zu prüfen, ob sie auch tatsächlich von Gott kommen. Anderenfalls steht man in der Gefahr, mit geistlich klingenden Worten von Gott weggeführt zu werden, statt seinem Willen entsprechend zu leben. „Wenn euch aber selbst ein Engel aus dem Himmel etwas anderes als Heilsbotschaft verkündigt, dann sei er verflucht!“ (Gal 1, 8) „Ihr Lieben, glaubt nicht jedem, der behauptet, er sei mit Gottes Geist erfüllt, sondern prüft, ob er wirklich von Gott kommt. Denn überall sind falsche Propheten unterwegs.“ (1Joh 4, 1)
In der Bibel weisen Engel sogar jede besondere Aufmerksamkeit, die von Gott ablenken könnte weit von sich. Definitiv wollen sie nicht verehrt werden. „Überwältigt von dem, was ich gehört und gesehen hatte, warf ich, Johannes, mich vor dem Engel nieder, der mir dies gezeigt hatte, und wollte ihn anbeten. Doch er sagte: ‚Tu das nicht! Ich bin ein Diener Gottes genauso wie du und deine Brüder, die Propheten, und wie alle, die sich nach den Worten dieses Buches richten. Bete alleine Gott an!‘“ (Offb 22, 8f.)
Irgendwie ist die Engel- Begeisterung esoterisch orientierter Christen, wie Reinhard Hirtler, auch in anderer Hinsicht irritierend. Da gibt Gott seinen geistlichen Kindern das außerordentliche Privileg, sich jederzeit mit seinen Gedanken und Anliegen persönlich an ihn, als dem Herrn des Universums zu wenden. Stattdessen fühlen sich engelbegeisterte Menschen ganz besonders geehrt, wenn sie viel mit den Dienern Gottes sprechen und ihnen einen besonderen Stellenwert einräumen. Das ist geistlich gesehen ziemlich absurd. Das wäre ähnlich, als ob sich der enge Freund des Bundeskanzlers mit endlosen Gesprächen des Pförtners begnügt und ihm mitteilt, was er dem Kanzler sagen will, obwohl er ihn auch jederzeit persönlich treffen könnte.
Geht es engelverliebten Christen am Ende vielleicht gar nicht so sehr um Gott oder um ein heiliges Leben in der Nähe Gottes? Suchen sie stattdessen spektakuläre Erlebnisse, mit denen sie vor anderen scheinbar gut dastehen? Fast kann man den Eindruck gewinnen, es ginge nicht so sehr um ein Leben in dem Gottes Ziele umgesetzt werden, sondern eher um ein Leben, in dem Gott die Ziele des Menschen absegnen und unterstützen soll. Durch die tief in jedem Menschen sitzende Sünde will er sich selbst in den Mittelpunkt spielen, manchmal sogar mit scheinbar frommen Methoden. Den meisten Menschen widerstrebt es deutlich, sich Gott unterzuordnen, oder zu akzeptieren, dass er für sie nur eine ganz normales Leben vorgesehen haben könnte; möglicherweise sogar eines mit viel Leiden, wie zur Zeit der meisten Propheten und Apostel.
Christen leugnen die Existenz von Engeln natürlich nicht; wie sollten sie auch, wenn in der Bibel doch ganz offen von ihrem Auftreten geredet wird. Christen sprechen Engeln aber auch keinen besonderen Wert zu, weil sie lediglich Gottes Diener sind, während Gläubige den privilegierten Status als Kinder Gottes bekommen haben. Christen bevorzugen den Kontakt mit Gott und seinen in der Bibel eindeutig nachzulesenden Aussagen. Sie wenden sich nicht, wie von Reinhard Hirtler empfohlen an vorgebliche Engel.
Interpretationsbedürftigen Mitteilungen von Engeln, die immer noch überprüft werden müssen stehen sie skeptisch gegenüber. Hier besteht die nicht unerhebliche Gefahr, falschen jenseitigen Wesen auf den Leim zu gehen. Wenn ein echter Engel erscheint, dann ist das eine außerordentliche Angelegenheit, hebt einen Christen aber nicht besonders hervor. Am zuverlässigsten und besten ist immer noch die Verbindung zu Gott selbst, durch Jesus Christus. Auch Schutz und Bewahrung kann Gott deutlich besser garantieren als ein ihm unterstellter Engel. Deshalb tut man gut daran sich an Gott zu halten und nicht zuerst an seine Diener, die Engel.
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Reinhard Hirtler greift den Engel- Trend der Esoterik auf und bemüht sich, ihn für Christen attraktiv zu machen. Überall tauchen plötzlich Engel auf und warten scheinbar nur darauf, Befehle von Menschen entgegenzunehmen, um ihnen zu dienen. Das wirkt für viele Christen faszinierend und verspricht ganz neue spirituelle Erlebnisse.
In der Bibel wird immer wieder von Engeln gesprochen. Ganz deutlich wird aber auch davor gewarnt, sie zu verehren oder Kontakt zu ihnen zu suchen. Wer Engeln zu offen gegenübersteht, der kann sogar leicht an die vollkommen falschen übernatürlichen Mächte geraten. Die realistische Begegnung mit Engeln ist fast immer eine heikle Sache. Schneller als viele das wollen landen sie über falsche Engel in der Esoterik.
(von Michael Kotsch)